Skulptur findet in der taz statt

■ Wie Konzeptkünstler Jochen Gerz der Kunst öffentlichen Raum schafft

Als 1990 zum ersten Mal der Bremer Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum vergeben wurde, war klar: Der ausgezeichnete Künstler wird erstens eine Ausstellung machen und zweitens eine Arbeit für den öffentlichen Raum in Bremen schaffen. An der Realisierung dieses Auftrags arbeitet Jochen Gerz, bisher erster und einziger Träger des Rolandpreises, derzeit auf Hochtouren.

Soll die Arbeit zu einem bestimmten Thema Stellung beziehen und wenn ja, zu welchem? fragte er deshalb Bremer Kunstfreunde und — interessierte, regionale Medien und durch Sponsoring bekannte Bremer Firmen. Und läßt sich dieser Vorschlag mit den Mitteln der Kunst realisieren? Gleichzeitig wollte Konzeptkünstler Gerz von den Befragten aber auch wissen, ob sie an der Entstehung einer solchen Arbeit mitwirken wollen.

Henning Scherf, Auftraggeber der Gerz'schen Arbeit (weil damals noch Kultursenator) hatte an einer solchen Mitwirkung offenbar kein Interesse. Für die Inhalte der Kunst im öffentlichen Raum erklärte er sich — im Gegensatz zu den Herrschern historischer Vorzeit — nicht zuständig, verwies lediglich auf die Freiheit des Künstlers. „Das war ein für beide Teile nicht befriedigender Ablauf“, erinnert sich der Künstler Jochen Gerz. Wenn in einer Demokratie ein Vertreter der öffentlichkeit keine inhaltlich konkreten Aufträge verteilt, obwohl er sie formal vergibt, dann muß man sich an diejenigen wenden, die ihn beauftragt haben, überlegte er und wandte sich daraufhin an das Volk an sich. Es entstand die Idee einer „Bremer Befragung.“

7.000 Fragebögen mit obengenannten drei Fragen gingen allein an Kunstinteressierte: über das Museum Weserburg, die Kunsthalle, den Kunstverein, das Theater und Galerien. 70 Antworten kamen zurück. Deren Auswertung ging thesenhaft in die nächste Befragung ein: Viele Bremer glauben, daß „Politik und Manipulation oft das gleiche sind“, daß „Rassismus etwas mit ihrer eigenen Unsicherheit“ oder daß „die Angst vor der Zukunft etwas mit Ökologie zu tun hat.“ - Was hat die Kunst damit zu tun, lautet die einleitende Frage dieser Umfrage.

Zielgruppe: KunststudentInnen, Beschäftigte bei Jacobs (Beck's hatte seine Zusage kurzfristig zurückgezogen) und taz-LeserInnen. Die Fragebögen wurden in der taz veröffentlicht (am 8., 11. und 12. Juni 1993). Der Rücklauf ist schleppend.

Die Ergebnisse werden den TeilnehmerInnen in öffentlichen Seminaren in der Kunsthochschule (Dechanatstraße 13-15, 20 Uhr) vor und (in Anwesenheit des Künstlers) zur Diskussion gestellt. Das nächste ist am 17. Juni. Dann wird auch das Fernsehteam von „buten & binnen“ anwesend sein und Teil der „Bremer Befragung“ werden.

Ein Kunstwerk im Sinne einer Skulptur aus Bronze oder Gips wird es am Ende jedenfalls nicht geben. Jochen Gerz wird auch kein Monument zum Thema Wiedervereinigung, Fortschritt, Rassismus oder Machtmißbrauch auf irgendeinen Sockel stellen. Gerz erobert der Kunst vielmehr einen öffentlichen Raum. Zum Beispiel in der taz. Und zum Beispiel inmitten der Bilderflut, die die Werbung für Zahnpasta, Busreisen und politische Veranstaltungen erzeugt.

Die Analyse der ersten Umfrage zeigt: „Die Menschen haben in der einen Hand ihre Fragen, in der anderen den Gartenzwerg als ästhetischem Werkzeug“. Damit stehen sie vor dem Künstler, der Lösungen liefern soll. Dafür gestehen sie ihm eine Freiheit zu, die eigentlich ein Defizit ist: Denn mit dem Privileg der Freiheit steht der Künstler in ihrer Schuld. Mit seiner Bremer Befragung schlägt Jochen Gerz die Brücke zwischen Kunstschaffenden und — rezipienten. Die Kunst ist im Gespräch.

Birgitt Rambalski