Ab heute Karlsruher Recht

■ Heute zahlreiche Protestaktionen geplant / Merkblatt soll den größten Verunsicherungen wehren / Frauenkasse startet

Heute tritt in Ost- wie Westberlin das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Paragraphen 218 in Kraft. Die im Westteil bisher geltende Indikationslösung ist damit ebenso aufgehoben wie die im Ostteil seit 1972 bestehende Fristenlösung. Um der bestehenden Verunsicherung entgegenzuwirken, haben die Senatsverwaltungen für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Justiz ein Merkblatt erarbeitet, das ab heute den Beratungsstellen, Apotheken, Frauenärzten und Kliniken zugeschickt wird. Es informiert über die rechtliche Situation, Beratungen, Kostenübernahmen und den Anspruch auf Lohnfortzahlung. „Wir haben den ganzen Gang aufgezeigt, den eine Frau in einer Konfliktsituation zu gehen hat“, sagte Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) gestern bei der Vorstellung des Faltblattes.

Gesundheitssenator Luther betonte in dem Zusammenhang, daß jeder Arzt und jedes Krankenhaus, das bisher die Zulassung zu Schwangerschaftsabbrüchen hatte, diese auch weiterhin haben wird. Die derzeit acht Anträge niedergelassener Frauenärzte im Ostteil, den Eingriff ambulant vorzunehmen, würden in den nächsten Tagen entschieden. Auch die bisher zugelassenen Beratungsstellen könnten ihre Arbeit fortsetzen. „Sie müssen nur einen Zettel unterschreiben, in dem sie versichern, daß sie im Sinne des Gesetzes beraten“, sagte Luther.

Nach Verhandlungen mit der Finanzverwaltung steht fest, daß der Kostenübernahme für Abtreibungen durch die Sozialämter der Paragraph 81 des Sozialhilfegesetzes zugrunde gelegt wird. Eine Frau, die nach Abzug der Kosten für die Warmmiete 1.450 Mark im Westen oder 1.250 Mark im Osten verdient, hat somit Anspruch auf eine Kostenübernahme.

Die am Pfingstmontag gegründete Frauenkasse will in zwei Wochen ihre Arbeit aufnehmen. Sie soll Frauen, die den Abbruch nicht selbst zahlen können, aber keinen Anspruch auf Unterstützung durch das Sozialamt haben, schnell und unbürokratisch helfen. Wie Gründungsmitglied Renate Künast (Bündnis 90/Grüne) mitteilte, seien bereits Spenden in Höhe von 20.000 Mark eingegangen.

Mit zahlreichen Aktionen wird heute gegen das Urteil protestiert. Ab 10 Uhr informieren VertreterInnen von pro familia vor dem Roten Rathaus über die künftige Beratungsform, ab 13 Uhr auch am Alexanderplatz und am Wittenbergplatz. Ein Sternmarsch von Studenten zieht um 16 Uhr vor das Rote Rathaus. Am Breitscheidplatz findet ab 17 Uhr eine Zwangsberatung von Männern für Männer statt. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne veranstaltet um 19.30 Uhr ein Hearing im Abgeordnetenhaus. Corinna Raupach