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„Ästhetik zum Widerstand“

■ Alfredo Jaars „soziokritische Installationen“ in der GAK

„Ich will Sie berühren, in Bewegung setzen. Wenn Sie hier rauskommen und begegnen einem Vietnamesen, wird das nie mehr in der gleichen Weise sein wie vorher.“ Alfredo Jaar weiß nicht, wie selten man in Bremen einem Vietnamesen begegnet. Der Künstler aus Chile (Jg.56) hat ein Jahr lang in Berlin gelebt. Aber die Installation, die er in den Räumen der GAK, der Gesellschaft für öffentliche Kunst, aufgebaut hat, betrifft uns auf eine vom Künstler ganz unbeabsichtigte Weise.

Ein übergroßes Foto eingangs der Galerie. Zwischen stacheldrahtbewehrten Zäunen geht es auf den Eingang eines Lagers zu. In verschiedenen Sprachen erscheint auf dem Bild diaprojiziert „Es öffnen sich neue Tore“. Jaar war 1991 in Honkong und fotografierte die Boat People, Vietnamesen, die vor ihrem Land auf Schiffen flohen. Mit einem UN-Paß erhielt er Zugang zu den Lagern hinter den „neuen Toren“, wo die Asylbewerber nach gelungener Flucht eingesperrt wurden. Er sprach mit ihnen, fotografierte. Heute, hier in Bremen, verhilft der „Zufall“ seiner Ausstellung zu beklemmender Aktualität und „neuen Konnotationen“: Honkong selektierte streng nach den Kriterien „politisch verfolgt“ und „Wirtschaftsasylant“. Letztere wurde zurückgeschickt.

Alfredo Jaar inszeniert in der GAK eine Art Fotolabor; da schwimmen in Vitrinen, im Wasser, seine Fotos von Eingesperrten, im Boot Treibenden. Die Szene ist in bläuliches Licht getaucht. In Hintergrund hat er fünf Leuchtkästen aufgebaut, in denen übergroße Farbdias ein Stück Meer (“Hong Kong Waters“) zeigen. Er will, sagt Jaar, sein Publikum verlocken, näherzutreten; alsbald entdeckt man in rückwärtig aufgehängten Spiegeln wieder diese Menschen, die einen ansehen.

Alfredo Jaar versteht sich als Fotojournalist und dezidiert politischer Künstler. Seine Arbeit, die ihn immer wieder zu Krisengebieten besonders der „Dritten Welt“ führt, ist zunächst das Sammeln von Bildern. Die anschließenden Ausstellungen nennt er „soziokritische Installationen“. Er gibt seine „unglaublichen“ Bilder nicht an bilderhungrige Agenturen, die sie dann in unkontrollierbaren Zusammenhängen benutzen — „Ich will die Kontrolle über meine Bilder und die Informationen behalten,“ sagt er. Um die Fotos dann im sicheren Rahmen seiner Installationen zu zeigen.

Von Würde und Unwürde des Pergamon-Altars

In Deutschland geriet Jaar, der schon 1987 auf der Documenta ausstellte, jüngst mit seinem „Pergamon-Projekt“ in die Feuilletons. Jaar wunderte sich während eines Aufenthaltes in Berlin über den unerträglichen Widerspruch zwischen der Popularität des (byzantinischen) Pergamon-Altars in Berlin und die unwürdige Behandlung der Türken in Berlin. Gleichzeitig passierten bundesweit Angriffe auf Asylbewerberheime. Jaar projizierte zwei Monate lang Namen von deutschen Städten, in denen Ausländer angegriffen worden waren, auf den Pergamon-Altar — Rostock, Eberswalde, Frankfurt, Mölln ....

Die Installationen von Alfredo Jaar sind ästhetisch, werden sogar als elegant und verführerisch empfunden. Ein Widerspruch? Jaar glaubt an eine „Ästhetik zum Widerstand“; er will „verführen“, um Kontakt herzustellen. „Hingehen, selbst sehen, mit den Leuten reden, vor Ort nachforschen. Nach diesen Kontakten fällt es schwer, nicht emotional beteiligt zu sein.“ Solche Kontakte will Jaar seinem Publikum vermitteln. Burkhard Straßmann

Die Ausstellung läuft in der GAK (Gesellschaft für Aktuelle Kunst), Weserburg; geöffnet Di.-Fr. 10-18, Sa. und So. 11-18 Uhr. Zur Ausstellung erschien ein Faltblatt.

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