Nachschlag

■ Film plus Dichter – eine Mesalliance im Babylon-Mitte

Jetzt kann man sich ganz sicher sein: Der Dichter zum Film – er ist genauso überflüssig wie das Buch zum Film. Dabei hatte man diesmal allen Grund, die Vorurteile daheimzulassen. Denn viele der Besucher waren wohl zum Abschluß der lateinamerikanischen Filmwoche ins Babylon-Kino Mitte gekommen, um nach der Vorstellung den kubanischen Exil-Schriftsteller Jesus Diaz zu hören. Diaz hatte mit seinem erst kürzlich ins Deutsche übersetzten Roman „Die verlorenen Worte“ (Piper-Verlag) großes Aufsehen erregt und ist neben Alejo Carpentier und Jose Lezama Lima der bedeutendste Repräsentant der kubanischen Literatur. Doch sein Auftritt enttäuschte. Ein Glück, daß man zuvor einen eindrucksvollen Film gesehen hatte.

„Yawar Mallku – Das Blut des Condors“, ein selten gezeigter Film des bolivianischen Regisseurs Jorge Sanjinés aus dem Jahr 1969, erzählt eine skandalöse Geschichte, der man getrost dokumentarische Glaubwürdigkeit beimessen darf. Ein US-amerikanisches „Friedenscorps“ errichtet im bolivianischen Hochland ein Entbindungsheim. Aber die „humanitäre Hilfe“ ist nur vorgeschützt. Eigentliche Aufgabe der Klinik ist es, die Indio- Frauen nach der Geburt des Kindes ohne ihr Wissen zu sterilisieren. Als Mitglieder der Indio-Gemeinde Verdacht schöpfen, die Amerikaner zur Rede stellen, werden sie von der bolivianischen Polizei hingerichtet. Ignacio, einer der Dorfältesten, überlebt die Exekution wie durch ein Wunder. Doch die lebensrettende Operation in einem katholischen Krankenhaus wird ihm verweigert, die Familie hat kein Geld für Medikamente und Blutkonserven. Ignacios Bruder Sixto macht sich auf den Weg, das Geld aufzutreiben. Vergeblich. Als er nach einem entwürdigenden Bittgang zu einem reichen Arzt ins Hospital zurückkommt, ist Ignacio tot.

Sanjines Stilmittel sind einfach: So karg wie die Landschaft der Anden-Hochebene sind die Bilder, Blicke ersetzen Dialoge. Die Wahrheit über die Vorgänge im Entbindungsheim erfahren die Indios durch die rituelle Befragung von Coca-Blättern, und die Aussagen archaischer Glaubensvorstellungen triumphieren über die Lügen und Beschwichtigungen der „zivilisierten Amerikaner“.

Der Auseinandersetzung mit den Bildern und der unmißverständlichen Botschaft des Films folgte dann das Wortgeplänkel des Dichters, der in selbstgefälliger Pose im Kinocafé über den Begriff „Lateinamerika“, das Beispiel Guatemala, die staatenlose Nation der Indios und das Scheitern der kubanischen Revolution räsonierte. Zugegeben, das kryptische Thema, das die Veranstalter vorgegeben hatten, war nicht eben dazu angetan, dem Gespräch Konturen zu verleihen: „Die Chance des Individuums in Lateinamerika“. Nach einer halben Stunde waren die Stuhlreihen leergeredet, und man blieb unter sich, um zu erfahren, was man auch ohne Diaz gewußt hatte: Das Blut des Condors wird auch heute noch vergossen. Stephan Schurr