Moskauer Probleme sichern Berliner Jobs

■ Partnerstädte wollen in der Arbeitsmarktpolitik zusammenarbeiten / Erfahrungen aus dem Übergang in die Marktwirtschaft als Exportartikel nach Rußland / Umbau von Rüstungsbetrieben

Moskau. „Von der Sowjetunion lernen, heißt Siegen lernen.“ Nach dieser gebetsmühlenartig wiederholten Losung verlief der Austausch von Erfahrung und Theorie zwischen Russen und Ostdeutschen jahrzehntelang nur in einer Richtung. Seit dem Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion aber haben die Ostdeutschen beim Weg in die Marktwirtschaft Erfahrungen gesammelt, die den Betrieben und Arbeitnehmern in der ehemaligen Sowjetunion wahrscheinlich erst noch bevorstehen. Das dachte sich zumindest die Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen und organisierte gemeinsam mit der Moskauer Partnerverwaltung und einer Berliner Beratungsgesellschaft eine einwöchige Veranstaltungsserie zu Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik sowie eine Messe deutscher und russischer Firmen. Daß Bürgermeisterin Christine Bergmann (SPD) die Schau ausgerechnet im Gebäude des ehemaligen Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) eröffnete, war nicht ohne Symbolcharakter.

Längst nicht mehr ums Siegen ging es bei dem Erfahrungsaustausch, sondern um die Begrenzung von sozialen Kosten und die Schaffung neuer Arbeitsplätze beim Übergang in die Marktwirtschaft. Von neun Millionen Arbeitnehmern in der DDR haben in den neuen Bundesländern drei Millionen ihren ursprünglichen Arbeitsplatz verloren. Nur kopfschüttelnd konnten deshalb die Deutschen die Moskauer Arbeitslosenzahlen zur Kenntnis nehmen. In der Metropole einer Gesellschaft im Umbruch mit 9,5 Millionen Einwohnern und rund fünf Millionen Erwerbstätigen sind offiziell gerade 18.700 Menschen arbeitslos gemeldet – weniger als ein halbes Prozent.

Die Erfahrung der Berliner Fachleute mit Umschulungen, ABM-Projekten, Beschäftigungsgesellschaften und Existenzgründungen stießen in den Workshops auf Interesse. Und doch hatten viele Deutsche den Eindruck, daß zwar einzelne russische Firmen sich auf die Marktwirtschaft vorbereiten, manche Vertreter der Verwaltung aber die Herausforderung nicht annehmen wollen. Westliche Schätzungen, wonach der GUS bis 40 Prozent Arbeitslosigkeit bevorstehen, tat ein Mitarbeiter des Moskauer Departments für Arbeit mit dem Satz ab, es gebe keine Parallelen zum Westen: „Rußland ist das Land der Wunder.“

Igor Saslewski, der das Moskauer Department leitet, sprach immerhin vom Problem der „geheimen Arbeitslosigkeit“ in seiner Stadt, die er auf zehn Prozent schätzte. Seine Verwaltung spiele eine Vorreiterrolle, Moskau sei deshalb ein Testgebiet für die Arbeitsmarktpolitik in ganz Rußland, erklärte der Kollege Bergmanns. In Moskau, so schätzen wiederum westliche Experten, arbeiten 70 Prozent der Beschäftigten direkt oder indirekt im Rüstungsbereich, in der gesamten GUS-Wirtschaft sind es immerhin noch 35 Prozent. Die Partnerstadt Berlins ist damit auf den Erfolg der Konversion von Rüstungsbetrieben angewiesen, die wie alle großen Unternehmen in der GUS heute noch ohne Rücksicht auf Rentabilität vom Staat finanziert werden.

Eine schematische Übertragung Ostberliner und Brandenburger Erfahrungen, das wurde schnell klar, wollen die russischen Partner nicht – sie hätten wahrscheinlich auch kaum Erfolg. Vielleicht aber läßt sich auch aus jenen deutschen Fehlern im Übergangsprozeß lernen, welche die Vertreter von Berliner Verwaltung, Gewerkschaften und ABM-Gesellschaften den Moskauern keineswegs verheimlichten. Da war die Rede von Frauen, die im Umgestaltungsprozeß der Wirtschaft als erste entlassen wurden und den höchsten Preis zahlen; von dubiosen Bildungsträgern, die aus den staatlichen Geldströmen ihren Teil abzweigen wollen und die Weiterbildungswilligen oft frustriert entlassen; schließlich von den vielen westdeutschen Firmen, die ihre zur Privatisierung ausgeschriebene ostdeutsche Konkurrenz nur erwarben, um sie zu vernichten.

Nicht ganz so idealistisch, wie in den vielen offiziellen Ansprachen behauptet, ist das Berliner Interesse an der Zusammenarbeit mit Moskau – und der vielbeschworene Erfahrungsaustausch war keiner von Partnern mit identischem Interesse. Daß Berlin für die Lösung seiner Arbeitsmarktprobleme aus Moskau wenig Anstöße erwarte, gestand Staatssekretär Peter Haupt von der Senatsverwaltung für Arbeit gegen Ende der Woche freimütig ein. „Wir verkaufen unsere Dienstleistungen, wir wollen Arbeitsplätze in Berlin erhalten“, erklärte er auf der Pressekonferenz, die der Gründung eines gemeinsamen Ausschusses der beiden Städte für Arbeit und Qualifizierung folgte. Solche Ehrlichkeit, so die Erfahrung von deutschen Teilnehmern, war den Moskauer Partnern viel einsichtiger als der dauernde Hinweis auf eigene humanitäre Absichten.

Die Zusammenarbeit in der Arbeitsmarktpolitik, mit der Senatorin Bergmanns Verwaltung sich zum Vorreiter der vor zwei Jahren besiegelten Städtepartnerschaft Berlin-Moskau macht, wird keine rein deutsch-russische Angelegenheit bleiben. Mit Geldern aus EG- Programmen soll der Austausch forciert werden. Ausdrückliche Bedingung für die Zahlung von Zuschüssen ist die Zusammenarbeit von Städten aus mehreren EG-Staaten mit Kommunen in der GUS. Eine – noch recht vage – Absichtserklärung hatten im RGW- Gebäude neben Senatorin Bergmann Vertreter Moskaus, St. Petersburgs und Manchesters unterzeichnet. Über diese ganz undogmatische Praxis des „Internationalismus“ hätten wahrscheinlich auch die Autoren der alten Losungen gestaunt. Hans Monath