Ghali sagt Karlsruher Auftritt ab

Die Bundesregierung hatte ihn entgegen der eigenen Darstellung zur Aussage vorm Verfassungsgericht gedrängt / UN-Experten rieten dringend ab  ■ Von A. Zumach

Genf/Bonn (taz) – Butros Ghali kommt also doch nicht nach Karlsruhe – aus Zeitgründen, wie er gestern offiziell und reichlich spät verlauten ließ. Aber auch nach dem Rückzieher des UNO-Generalsekretärs, der sich damit einmal mehr öffentlich blamiert hat, ist der Vorgang, der sich heute und morgen vor dem Bundesverfassungsgericht abspielt, bislang einmalig in der Geschichte der Vereinten Nationen: auf Weisung Ghalis nimmt sein Stellvertreter Vladimir Petrovski an einer Verhandlung des höchsten Gerichts eines UNO-Mitgliedslandes teil, um dessen Regierung im Verfassungsstreit mit der Opposition zu unterstützen.

Beim Essen in einem Baden- Badener Hotel wurde der ehemalige sowjetische Vizeaußenminister am Montagabend von Vertretern der Bonner Außen-und Verteidigungsministerien bereits auf die Argumente vorbereitet, mit denen er helfen soll, den SPD-Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Somalia-Einsatz der Bundeswehr abzuwehren. Ob Zeuge Petrovski allerdings überhaupt das Wort ergreifen darf, wollen die Richter des 1. Senats erst im Laufe der Verhandlung entscheiden. Dort schien man gestern nicht allzu geneigt zu sein. Zumindest betonte der Sprecher des Gerichts mit auffälliger Deutlichkeit, bei der Verhandlung um die SPD-Klage gehe es „ausschließlich um die Frage der Verfassungsmäßigkeit“ des Somalia-Einsatzes der Bundeswehr und nicht darum, welche Wünsche die UNO möglicherweise an Deutschland habe. Die Frage, ob der Somalia-Einsatz „rechtmäßig ist“, müßten die Deutschen „schon selber entscheiden“, meinte auf jeden Fall der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Karsten Voigt, der heute in Karlsruhe als Klagevertreter auftritt.

Es bleibt offen, ob die Karlsruher Richter die Unabhängigkeit und Courage besessen hätten, das Ansinnen der Bundesregierung auf einen Zeugenauftritt von Butros Ghali höchstpersönlich zurückzuweisen. Die Entscheidung, die in Bonn, Genf und Karlsruhe frühestens für Montag abend erwartet worden war, nahmen ihnen die Völkerrechtsberater des UNO- Generalsekretärs ab. Gestern morgen überzeugten sie Ghali, daß seine Einmischung in den innenpolitischen Streit eines Mitgliedslandes auf Wunsch von dessen Regierung einen Präzedenzfall setze, der entsprechende Ansinnen aus anderen Ländern auslösen dürfte. Diesen könne er sich dann nur noch schwerlich entziehen.

Am Sonntag hatte die Bundesregierung über deutsche Medien den Eindruck erweckt, Butros Ghali habe aus eigenem Antrieb die Teilnahme Petrovskis an der Karlsruher Verhandlung verfügt und obendrein seinen eigenen Auftritt angeboten. Diese Darstellung ist falsch. Mit der Erschießung von 23 pakistanischen UNO-Soldaten in Somalia Anfang Juni und den seitdem eskalierenden Gefechten auch in angeblich längst „befriedeten“ Zonen wuchs die Nervösität der Koalition vor der heutigen Karlsruher Verhandlung über die SPD-Klage stetig. Über den New Yorker UNO-Botschafter von Rantzau machte die Bundesregierung zunächst mündlich und informell ihr dringendes Interesse am Erscheinen des Generalsekretärs in Karlsruhe deutlich und fragte an, ob ein solcher Auftritt überhaupt denkbar sei.

Ohne zuvor seine Völkerrechtsberater zu konsultieren, ließ Ghali antworten, dies sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Die Bundesregierung bohrte weiter. Am letzten Montag besprach Außenminister Kinkel das Thema mit Ghali am Rande der Wiener UNO-Menschenrechtskonferenz. Am letzten Freitag schließlich bat Kanzler Kohl in einem Schreiben an Ghali hochoffiziell um dessen Auftritt in Karlsruhe. Am Samstag traf in Bonn eine Antwort des Generalsekretärs ein, in dem er die Entsendung Petrovskis nach Karlsruhe mitteilte und darüberhinaus seine Bereitschaft anbot, auf dem Weg zum Bonn-Besuch am Mittwoch „unterwegs Station zu machen und eine Erklärung zu der Anhörung in Karlsruhe abzugeben“. Falls, fügte Ghali hinzu, der Kanzler dieses für nötig halte.

Der hielt das für nötig. Gestern morgen gab es in Bonn bereits konkrete Zeitplanungen für einen Gerichtsauftritt Ghalis am Mittwoch morgen früh zwischen neun und zehn, damit er rechtzeitig um zwölf in Bonn mit dem Kanzler und danach mit Kinkel und dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Spranger, sein könnte.

Erst dann holte Ghali, der den ganzen Vorgang bis dahin vor seinen Genfer Sprechern und selbst seinem hiesigen Stabschef geheimgehalten hatte, den Rat seiner Völkerrechtsexperten ein. Daß diese ihn in letzter Minute zurückpfiffen, wollte der Generalsekretär — wie so manche Fehler seiner jetzt 18monatigen Amtsperiode — gestern nachmittag vor Journalisten allerdings nicht eingestehen. Für die Absage seines Karlsruhe-Auftritts seien lediglich „unglückliche zeitliche Umstände“ ausschlaggebend gewesen.