Majors Kabinett zerbröckelt weiter

Ein Finanzskandal erschüttert die Tory-Partei in ihren Grundfesten / Ein betrügerischer Geschäftsmann namens Asil Nadir und seine Verbindungen zur Politik  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Dem britischen Premierminister John Major zerbröckelt das Kabinett unter den Händen. Nachdem er seit den Wahlen vor gut einem Jahr bereits drei Minister aus privaten oder politischen Gründen opfern mußte, wackeln nun die Stühle zweier weiterer Kabinettsmitglieder. Industrieminister Michael Heseltine, der Totengräber der britischen Bergwerke, mußte in der vergangenen Woche zugeben, daß von den zwölf Gruben, die er eigentlich retten wollte, drei nun doch werde dichtmachen müssen. Die heftige Kritik, die daraufhin laut wurde, war wohl zuviel für Heseltine: Er erlitt vorgestern in Venedig einen Herzinfarkt.

Gefährlicher als das Bergwerk- Fiasko ist für Major jedoch ein Finanzskandal, der die Torys zur Zeit erschüttert. Dabei geht es um den türkisch-zypriotischen Geschäftsmann Asil Nadir, dem die Staatsanwaltschaft betrügerischen Bankrott vorwirft. Nadir war mit seinem Handelsimperium „Polly Peck“ 1990 pleite gegangen, blieb jedoch gegen eine Kaution von 3,5 Millionen Pfund (ca. 10,5 Millionen Mark) auf freiem Fuß. Die Konkursverwalter stellten fest, daß Nadir den Torys mindestens 440.000 Pfund gespendet hat, ohne diese Summe in die Bücher einzutragen. Nadir selbst behauptet, er habe der Partei 1,5 Millionen Pfund gegeben. Offenbar war ihm im Gegenzug ein Adelstitel versprochen worden, auf den er heute noch wartet.

Anfang Mai wurde Nadir der Boden unter den Füßen zu heiß, weil ihm klar wurde, daß die Spenden ihn nicht vor strafrechtlicher Verfolgung schützen würden. Nadir setzte sich in seine Heimat nach Nord-Zypern ab. Der britische Generalstaatsanwalt enthüllte in der vergangenen Woche, daß sich sieben Tory-Abgeordnete bei ihm für Nadir eingesetzt hätten, darunter Heseltine, Peter Brooke, Minister für kulturelles Erbe, sowie Michael Mates, der Staatsekretär für Nordirland. Besonders Mates ist nicht mehr zu halten, nachdem er selbst von vielen Parteifreunden fallengelassen worden ist. Mates hatte Nadir kurz vor dessen Flucht nämlich eine goldene Uhr geschenkt, in die der Spruch eingraviert war: „Laß Dich von den Kerlen nicht unterkriegen“. Nadir hatte sein Imperium von Anfang an auf Sand gebaut – zunächst jedoch durchaus erfolgreich. Nachdem er 1980 die fast bankrotte Firma „Polly Peck“ übernommen hatte, begann er, die Bilanzen zu fälschen. Die traumhaften Gewinne, die auf dem Papier erschienen, lockten kleine und große Investoren an. Nadir hatte damit einen Kreislauf in Gang gesetzt, der nicht mehr zu bremsen war: Je höher der fingierte Profit, desto länger die Schlange der Investoren – und desto mehr Geld, das Nadir von den Banken leihen konnte. Die Aktien, die bei Nadirs Einstieg 1980 noch hundert Pfund gekostet hatten, waren zehn Jahre später eine Million wert. Nadir war zu einem der reichsten Männer Großbritanniens geworden.

Im September 1990 war „Polly Peck“ an der Londoner Börse mit zwei Milliarden Pfund (cirka fünf Milliarden Mark) notiert, der Gewinn lag angeblich bei 150 Millionen Pfund im Jahr. Im Oktober war „Polly Peck“ pleite. Die Firma hatte Rekordschulden in Höhe von hundert Millionen Pfund angehäuft. Die gleiche Summe hatte Nadir im Lauf der Jahre in seine eigene Tasche – beziehungsweise auf ausländische Bankkonten – abgezweigt. Der Untergang des Imperiums traf zwar die 20.000 Einleger wie ein Blitz aus heiterem Himmel, an warnenden Stimmen hatte es jedoch nicht gefehlt. Bereits 1983 hatte der Journalist Michael Gillard im Observer die phantastischen Profitraten von „Polly Peck“ angezweifelt und Nadirs Geschäftsgebaren kritisiert. Bei seinen Recherchen in Nord-Zypern wurde Gillard dann als „Militärspion“ festgenommen und des Landes verwiesen. Außerdem habe Nadir geplant, ihn auf einer weiteren Recherche-Reise in der Türkei ermorden zu lassen, behauptet Gillard. Seine Warnungen vor einem Finanzdebakel stießen „aufgrund von Gier und Leichtgläubigkeit bei Banken, Investitions-Experten und Wirtschaftsjournalisten, die es hätten besser wissen müssen“, auf taube Ohren. Erst als der Observer 1990 „Polly Pecks“ immense Schulden detailliert auflistete, bekamen viele Banken kalte Füße und stießen ihre Aktienpakete ab. Dadurch wurde der Bankrott noch beschleunigt.

Nadir hat in der vergangenen Woche angekündigt, daß er nach Großbritannien zurückkehren will, um seinen Ruf zu retten und seine Verpflichtungen gegenüber den Aktionären zu erfüllen – vor allem jedoch, um aus Rache an seinen ehemaligen politischen Freunden einen Skandal zu entfachen. Einer seiner zypriotischen Geschäftspartner sagte jedoch, Nadir werde keinen Fuß auf britischen Boden setzen: „Er hat Millionen abgeschöpft. Er ist reich und beliebt, vor allem aber ist er frei.“ Andere prophezeien jedoch, daß Nadir Präsident der selbsternannten Republik Nord-Zypern werden wolle – ein Alptraum für Major. Der betrügerische Geschäftsmann könnte dann nämlich unter dem Schutz diplomatischer Immunität nach London reisen und Majors Kabinett womöglich weiter dezimieren.