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Die Körbe hängen hoch

Das deutsche Team verlor sein erstes Match bei der Basketball-Europameisterschaft gegen die überraschend starken Esten mit 103:113  ■ Aus Berlin Matti Lieske

„Verdammt noch mal“, schimpfte Henning Harnisch wütend vor sich hin, als ihm wieder einmal auf geheimnisvolle Art der Ball entschlüpft war, nachdem er ihn sich zuvor bravourös erkämpft hatte. Es lief nicht gut bei der deutschen Mannschaft, die sich für ihr erstes Europameisterschaftsspiel in der Berliner Deutschlandhalle eine Menge vorgenommen hatte, vor allem nicht in der Defensive. Da dies auch beim Gegner Estland nicht anders war, sahen die 3.885 Zuschauer ein Spiel, das von gelungenen Korbwürfen nur so wimmelte. 113:103 gewannen die Esten, 216 Punkte in einem europäischen Basketballspiel, das hat Seltenheitswert.

Das Publikum aber wußte die Punkteflut nicht zu schätzen. Es wollte die Deutschen gewinnen sehen und machte am Ende seinem Unmut mit einem gellenden Pfeifkonzert Luft. Das war ungerecht, denn die vermeintlich minderbemittelten Esten hatten sich als hervorragende Basketballspieler erwiesen. „Man hat gesehen, daß es bei dieser Europameisterschaft keine schwachen Mannschaften gibt“, sagte Bundestrainer Svetislav Pesic zerknirscht. Genau dieses hatte er zwar vorher auch schon immer gesagt, aber im stillen doch gehofft, daß es im Falle der Esten und möglichst auch der Belgier, ein weiterer Gruppengegner, vielleicht doch anders wäre. Eine Hoffnung, die kurz nach dem Debakel gegen die Balten vollends zunichte gemacht wurde, als Belgien den Gruppenfavoriten Slowenien mit 82:61 das Fürchten lehrte.

Die europäischen Superstars wie Sabonis und Marchulenis (mit Litauen nicht qualifiziert), Divac (Serbe), Schrempf und Kukoc (verletzt) sowie Petrovic (tödlich verunglückt) fehlen sämtlichst bei dieser EM, doch es gibt, so Pesic, „viele Spieler, die international nicht so bekannt, aber trotzdem sehr gut sind“. Die Esten zum Beispiel. Die Mannschaft von Kalev Tallinn war der letzte sowjetische Meister und bildet auch den Kern der Nationalmannschaft. Aber während das estnische Parlament gerade ein neues Ausländergesetz beschlossen hat, das die russische Minderheit ausgrenzt, war man bei der Zusammenstellung des Basketballteams weniger heikel. Weil es in Estland keinen herausragenden Center gibt, wurde den beiden Russen Babenko und Karawajew kurzerhand die estnische Staatsbürgerschaft verliehen – wegen ihrer „Verdienste um die Kultur des Landes“.

Den umgekehrten Weg ging der smarte Superstar Tiit Sokk, der einst auch in der sowjetischen Mannschaft brillierte. Er wurde Grieche, nachdem er einige Hellenen unter seinen Vorfahren ausfindig gemacht hatte, und spielt als solcher in Athen. Dennoch erwirkte der estnische Verband die EM-Spielberechtigung für Sokk, aber Estlands Basketball-Diva mag nicht und macht lieber Urlaub in Tallinn.

Auch ohne ihren Besten boten die Esten jedoch Erstaunliches. Atemberaubend vor allem ihre Wurfsicherheit. Von 24 Freiwürfen gingen nur vier daneben, und aus der Distanz waren sie schier unfehlbar. Fünfzehn Dreipunktewürfe versenkten sie im Korb, neunmal traf allein der wieselflinke Alivar Kuusma von jenseits der 6,25-m-Linie. Weder Michael Koch noch Henning Harnisch konnten den 1,88 Meter großen Blonden stoppen, und das deutsche Team durfte sich glücklich schätzen, daß Kuusma zehn Minuten vor Schluß, als er schon 30 Punkte erzielt hatte, beschloß, seine Wurfaktivitäten einzustellen. Aber wenn Kuusma nicht traf, waren andere zur Stelle, und unter dem Korb lauerte der stets gefährliche Sergej Babenko, der nicht nur 2,08 Meter groß ist, sondern auch verblüffend wendig.

So zeigte sich gleich im ersten Spiel, wie schwer es die deutsche Mannschaft ohne ihren NBA- Crack Detlef Schrempf haben wird, den angestrebten fünften EM-Platz, der zur WM-Teilnahme berechtigt, zu erreichen. Während in der Offensive besonders Christian Welp mit 21 Punkten und die Distanzwerfer, die es immerhin auf sieben Dreier brachten, das Fehlen von Schrempf einigermaßen kompensieren konnten, wurden seine Abwehrkünste bitter vermißt. Noch schwerer wiegt jedoch, daß es niemanden im Team gibt, der die anderen so wie Schrempf mitreißen und in prekären Situationen anstacheln kann. Denn wie sagt Svetislav Pesic: „Es ist immer leicht, wenn es läuft. Erst wenn es nicht läuft, kann man sehen, wie stark eine Mannschaft ist.“

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