Vorschlag

■ „Der Flüchtling“ – Theater im Tränenpalast

„Zuerst“, erzählt der Flüchtling, „haben sie die Ausländer geholt. Als man den Fremden eine Grube gegraben hat, haben alle danebengestanden und zugeschaut. Später haben sie auch die Unsrigen geholt.“ Nur ihm gelang es, vom Transport abzuspringen und zu fliehen. Wenn er über die nahe Grenze kommt, ist er in Sicherheit – das Nachbarland wird ihm Asyl gewähren. Als Fritz Hochwälder 1945 sein Stück „Der Flüchtling“ schrieb, war er selbst Asylant. Nach dem Einmarsch der Deutschen hatte der Österreicher jüdischer Abstammung – dessen Eltern im Konzentrationslager ermordet wurden – aus seiner Heimat fliehen müssen. Fritz Hochwälder durchschwamm den Rhein, fand Asyl in der Schweiz, wo er bis zu seinem Tode 1986 blieb.

Die Figuren des Stückes haben keine Namen. Sie retten und verraten einander und bleiben dabei immer Repräsentanten gegensätzlicher Geisteshaltungen. „Ich kann mich nicht um alles kümmern“, sagt die Frau des Grenzwächters, die sich dann doch kümmert und ihr Leben riskiert, um den Flüchtling zu schützen. „Man muß sich wehren“, sagt der Flüchtling und steht damit in krassem Gegensatz zur Überzeugung des Grenzwächters: „Wer sich widersetzt, ist ein Trottel.“ Die Fülle der Sentenzen und die Eindeutigkeit der Positionen bringt das Stück in Gefahr, zum Lehrstück zu versteinern. Die Inszenierung des „Independent Theaters“ im Tränenpalast ist sich dieser Tendenz bewußt und streicht deshalb gerade das Konkrete heraus. In Trachtenhosen, Bergstiefeln und altmodischer Uniformjacke spricht der Grenzwächter (Ulrich Grawunder) die naiven Monologe eines gutmütigen, obrigkeitsgläubigen Älplers – es fehlt ihm nur der Dialekt. Der Flüchtling (Stefan Krause), sein Gegner, Nebenbuhler und Komplize, hat den Habitus eines Intellektuellen der Vorkriegszeit.

Dankenswerterweise verzichten die Darsteller darauf, die ohnehin deutlichen Verbindungen zur Gegenwart noch extra zu betonen. Nur sie können das Stück interessant machen, denn dem solide-symmetrischen Aufbau mangelt es an Originalität: Alle möglichen Zweierkonstellationen werden ausgeschöpft, bis sich am Ende alle drei Personen treffen. Störend wirkt auch, daß das Stück unentschieden zwischen verschiedenen Formen schwankt. Ein Liebes- und Eifersuchtsdrama deutet sich an, ohne sich jemals zu entfalten, und obwohl Hochstätter den ernsten Ton stets beibehält, greift er, wenn die Frau (Renate Weyl) einen fremden Mann im Ehebett versteckt und sich dann in durchschaubare Ausreden rettet, zu den Mitteln der Posse. Miriam Hoffmeyer

Das Stück wird von einer Ausstellung von Künstlern aus sechs Ländern begleitet. Zu sehen ist es bis einschl. 29.6. und von 12. bis 24.7., 19 Uhr, im Tränenpalast, S-Bahnhof Friedrichstraße.