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Mit Gefühl fürs Transzendente

■ John Neumeier gefeiert: XIX. Nijinski-Gala zum Abschluß der 19. Hamburger Ballett-Tage

„Kommt der Mensch gehend, laufend, rennend nicht mehr vorwärts, fängt er an zu tanzen“, fiel es August Everding ein, Münchner Generalintendant, pyknisches Bildungsbürgeroriginal und locker parlierender Gratulant zu John Neumeiers 20jährigem Berufsjubiläum in Hamburg am Sonntag in der Oper. Und mit Gefühl fürs Transzendente hat sich Neumeier seit 20 Jahren um das Hamburger Ballet gekümmert.

Zum Auftakt der 19. Nijinski-Gala, die die 19. Hamburger Ballett-Tage beendete, trappelten die Kleinsten der Ballettschule der Staatsoper auf die Bühne, um den „Episkopus“, so Everding, der Hamburger Ballett-Gemeinde in den Grundpositionen des klassischen Balletts zu feiern. Für die nächste Gratulantin trugen zwei Diener in Livree das Pult an die Rampe. Kultursenatorin Christina Weiss dankte Neumeier für seine künstlerische Arbeit und sein Engagement für den Ballettnachwuchs.

Der 51jährige Internationalist und stilbildende Choreograph — des Kitsches und Genies bezichtigt und viel mehr geliebt denn ignoriert — ist als Chef eines künstlerischen Luxus-Unternehmens auch Sympathieträger für einen zahlungskräftigen Anhang. Kalender, Bücher, T-Shirts oder Plakate können kaum teuer, chic und schön genug sein, und die Ballett-Tage boten nun die Kunst zu den hübschen Artikeln.

Nach 20 Jahren war ein Rückblick fällig. Highlights wie die Dritte Sinfonie von Gustav Mahler, Ein Sommernachtstraum und Illusionen wie Schwanensee gehörten dazu wie auch die Wiederaufführung der Matthäus-Passion im Michel, bei der Neumeier den Christus tanzte. Neumeier, der mit jeder Vorstellung seiner Compagnie die profane Staatsoper aus den 50er Jahren in eine Art Tanztempel verwandelt, schuf mit der Matthäus-Passion den feierlichen Höhepunkt der Ballett-Tage.

Aufsehen erregte das Gastspiel des Cullberg Balletts aus Stockholm, das besonders mit der von Mats Ek neuchoreographierten Giselle, dem Ballett-Märchen schlechthin, verzauberte. Ek holt das Bauernmädchen Giselle aus den Spitzenschuhen, läßt sie komisch bis grotesk und doch umwerfend rührend eine unmögliche Liebe tanzen. Die Elfenszenerie der Romanze krempelte er um, verlegte sie ins „Irrenhaus“. Auch das Gastspiel der Lar Lubovic-Company aus New York sorgte für Abwechslung zu Neumeiers Handschrift. Drei Choreographien aus verschiedenen Schaffensperioden zeigten ungewöhnliche, ausgeklügelte Bewegungsstrukturen, verjazzte Lässigkeit, Humor und Raffinement.

Uraufführungen blieben rar. Bei der Nijinski-Gala gab's einen Einblick in Now And Then, das Neumeier für das National Ballet of Canada kreiierte und eine Kostprobe aus der Bernstein Serenade, ein Stück Tanz über die Liebe mit heftigen bis drastischen Gemeinheiten und keineswegs nur harmonisierender Beziehungsakrobatik (Premiere im Herbst) Die Ballett-Tage aber haben die Tanzgemeinde wieder fest zusammengeschweißt.

jk

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