taz-Dokumentation
: Die Frage der Volksgruppen in der Türkei

■ Auszüge eines Aufsatzes, den SPD-Kandidat Hakki Keskin in der Zeitung „Demokrat Türkiye“ schrieb und jetzt übersetzen ließ

Die überwältigende Mehrheit des türkischen Volkes ist türkischen Ursprungs. Neben dieser großen Mehrheit leben auch andere Volksgruppen als Minderheiten in der Türkei. Die größte Volksgruppe unter ihnen, gut ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, sind Kurden. Doch die Herrschenden unterschlagen diese Volksgruppe. Sie tun diese Wirklichkeit mit der Bemerkung ab, daß jeder türkische Staatsbürger in der Türkei auch Türke sei. Es ist aber keineswegs erforderlich, daß Türke sein muß, wer türkischer Staatsbürger ist. Denn während z.B. Griechen, Armeniern und Juden die Möglichkeit gegeben wird, ihre Volkszugehörigkeit und Identität zu wahren, wird dies den Kurden verweigert. (...) Ich setzte mich für den Bestand der Türkischen Republik und für eine dauerhafte friedliche Einheit und Brüderlichkeit der in dieser Republik lebenden Volksgruppen ein. Die Bedingung für ein brüderliches, friedliches Zusammenleben in derselben Gesellschaft aber ist die Gleichberechtigung ihrer Volksgruppen, das heißt eine Gleichberechtigung in allen Bereichen, kulturelle, wirtschaftliche, soziale und politische Gleichberechtigung. In der Gewährleistung dieser Gleichheit sehe ich die Voraussetzung für die Ganzheit der Türkischen Republik. (...)

Einige linke Gruppierungen, insbesondere kurdische, vertreten politische Ansichten, die bei den meisten türkischen Demokraten und demokratischen Sozialisten Mißtrauen erregen und von einer Zusammenarbeit abhalten. Ansichten aber, welche die Fragen der Volksgruppen nicht vom klassenspezifischen Standpunkt aus betrachten, sondern das türkische Volk zum „unterdrückenden“ und das kurdische Volk zum „unterdrückten Volk“ erklären, stellen, bewußt oder unbewußt, die beiden Volksgruppen gegeneinander auf. Die auf die Türkei bezogene Theorie vom unterdrückenden und unterdrückten Volk birgt die Gefahr in sich, die türkischen und kurdischen Völker, die seit Jahrhunderten zusammen leben und gemeinsame Klasseninteressen haben, gegeneinander aufzustacheln.

Die Verfechter dieser Theorie stellen dem türkischen Nationalismus und Chauvinismus den kurdischen Nationalismus und Chauvinismus entgegen. Nationalismus und Chauvinismus aber sind gefährliche Strömungen, die leicht außer Kontrolle geraten. Es kann von einem türkischen Demokraten und Sozialisten, der gegen jede Art dieser Geisteshaltung zu Felde zieht, nicht erwartet werden, daß er einem kurdischen Nationalismus und Chauvinismus wohlwollend begegnet, welche Gründe auch immer zu seiner Entschuldigung angeführt werden mögen.