Vorbereitungen für den „Asylkompromiß“

■ Verwaltungsrichter müssen ab 1. Juli im Eiltempo über Asylverfahren entscheiden / Ab August neue Kammer

Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen und auch hier ihr Anerkennungsverfahren über die Bühne gebracht haben wollen, ist nur eins zu raten: Nämlich ihren Fluchtweg zu verschweigen und sämtliche Hinweise, die diesen verraten könnten, zu vernichten.

Finden die Grenzschützer ab dem 1. Juli beispielsweise auch nur einen polnischen Straßenbahnfahrschein bei dem Flüchtling, mahlt die Gesetzesmühle unerbittlich. Weil er über ein „sicheres Drittland“ eingereist ist, muß er dorthin zurück. Über das Asylbegehren wird dann in Polen entschieden. Und weil Deutschland von sicheren Drittländern umgeben ist, ist es pure Kaffeesatzleserei, Spekulationen darüber anzustellen, wieviele Menschen es nach Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes überhaupt noch schaffen, Berlin zu erreichen. „Wir müssen die neue Situation erst abwarten“, meint Justizpressesprecher Bruno Rautenberg. Mit gleichem Tenor äußert sich Michael Haak, Referatsleiter bei der Berliner Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

Trotzdem bereitet sich das Verwaltungsgericht „mit Hochdruck“ auf das neue Gesetz vor, sagte dessen Präsident Alexander Wichmann. Gestern unterschrieb Bundespräsident von Weizsäcker das Gesetz, und in den nächsten Tagen wird es im Bundesgesetzblatt schwarz auf weiß stehen. Ab dann werden die Verwaltungsrichter im Eiltempo zu entscheiden haben. Nach dem neuen Gesetz haben die über ein „sicheres Drittland“ eingereisten Flüchtlinge in ihrem Erstaufnahmelager eine Woche Zeit, Widerspruch gegen den Abschiebungsbescheid einzulegen. Innerhalb einer weiteren Woche müssen die Verwaltungsrichter über die Zulässigkeit des Widerspruchs entscheiden.

Bisher waren 14 Kammern mit je drei Richtern und zwei Schöffen gemeinschaftlich mit Asylverfahren beschäftigt, ab dem 1. Juli will der Gesetzgeber, daß nur noch ein einzelner Richter darüber befindet. Darunter könnte die Objektivität leiden, sagt Wichmann.

Deshalb wird es in Berlin ab August eine neue Kammer geben, die sich ganz auf die Asylgesetzgebung spezialisiert. Trotzdem wird es in vielen Fällen nicht möglich sein, sagt Wichmann, innerhalb einer Woche einen Spruch zu fällen. Die Richter müßten sich ja über die politische Situation des Herkunftslandes informieren und die vom Asylbewerber beigebrachten Dokumente prüfen. Wichmann hält es für sehr wahrscheinlich, daß die Richter großzügig entscheiden, dem Widerspruch stattgeben und damit verstärkt ein Hauptverfahren zulassen. „Das Bestreben des Gesetzgebers, schnell zu entscheiden, wird eine kontraproduktive Wirkung haben.“

Die wichtigste Voraussetzung, um überhaupt über ein Asylbegehren zu entscheiden, so Wichmann, sei die Aktenkenntnis. Die zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen müssen also sofort, wenn ein Asylbewerber angekommen ist, die Akten in das Verwaltungsgericht schicken. „Mit der Streitstraße haben wir uns kurzgeschlossen, die sind kooperativ“, meint Wichmann.

Probleme wird es aber mit den sogenannten „Altfällen“ geben, das heißt mit den Anträgen, die Flüchtlingen vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes gestellt haben. Denn die sollen ab dem 1. Juli auch in einem Eilverfahren innerhalb einer Woche entschieden werden. Weil die Aktenübersendung aus Dependencen des Bundesinnenministeriums aber Wochen dauert, können die Anträge nicht fristgerecht bearbeitet werden.

Mit einer weiteren Folge des Asylgesetzes wird sich in Zukunft wohl verstärkt die Polizei herumschlagen. Experten fürchten, daß viele Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt werden, in die Illegalität abtauchen. Nach Angaben von Heimleiter Hans-Jürgen Seuken haben schon in der Vergangenheit 30 bis 40 Prozent der AsylbewerberInnen „ihren Heimplatz in der Streitstraße geräumt, aus welchen Gründen auch immer“. Darüber hinaus stellt er fest, daß seit dem 1. April die Asylbewerberzahlen in Berlin rückläufig sind. Von den 1.150 Heimplätzen in den beiden Erstaufnahmelagern seien derzeit 600 besetzt. aku/ujo

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