Mitteleuropäische Sprachlosigkeit

Der Europarat berät heute über die Aufnahme der Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei / Ungarn blockiert die Slowakei, die Tschechen streiten mit Liechtenstein  ■ Von Sabine Herre und Keno Verseck

Berlin/Budapest (taz) – Wenn Ungarns Europarats-Botschafter heute gegen die Aufnahme der Slowakischen Republik in das Straßburger Gremium votiert, dann ist der Anlaß für dieses Veto ein typisch „mitteleuropäischer“. Schon als in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts die verschiedensten mitteleuropäischen „Bewegungen der nationalen Wiedergeburt“ so richtig in Fahrt kamen, ging es den Völkern des Habsburgerreichs nicht zuletzt um eine Wiederbelebung ihrer Sprache.

Die Diskussion um die Sicherung der Rechte der rund 600.000 Menschen zählenden ungarischen Minderheit in der Slowakei ist somit nicht neu. Von den kommunistischen Regierungen durch Zuckerbrot und Peitsche und die Einbindung in das sozialistische Lager reguliert, sahen die slowakischen Ungarn sich bereits wenige Monate nach der „samtenen Revolution“ von 1989 mit einem neuen Sprachengesetz konfrontiert, das die Verwendung des Ungarischen im Behördenverkehr verbot. Neu jedoch ist das Vorgehen Budapests. Der jetzige Vorstoß gegen eine slowakische Mitgliedschaft im Europarat kommt völlig überraschend. Obwohl auch in Ungarn die Probleme der Minderheit in der Slowakei seit Jahren Thema ist, hatte es nie ernsthafte bilaterale Gespräche über die Rechte der Minderheit gegeben. Lange Zeit hatte es zudem so ausgesehen, als erhoffe sich Ungarn gerade von der Aufnahme der Slowakei in den Europarat einen besseren Schutz ihrer Minderheit. Dabei beharrt Budapest nicht nur auf zweisprachigen Ortsschildern, dem Recht auf einen ungarischen Namen und einer Sicherung des ungarischen Schulwesens – gleichzeitig sollen die vor allem in der Südostslowakei lebenden Ungarn auch bei der anstehenden Gebietsreform nicht benachteiligt werden.

Doch während bei der Entscheidung gegen den Bau des slowakisch-ungarischen Staustufensystems Gabčikovo-Nagymaros die Ungarn „geschlossen“ hinter ihrer Regierung standen, wird die jetzige Haltung Budapests in Ungarn als „Eigentor“ kritisiert. Dadurch, so ungarische Oppositionspolitiker, entstehe im Westen der Eindruck, als ginge es Ungarn gar nicht um Minderheitenrechte, sondern um die Internationalisierung des ungarisch-slowakischen Konfliktes.

Teile der Budapester Regierungskoalition vertraten bei einer Debatte des Auswärtigen Ausschusses „hinter verschlossenen Türen“ dagegen die Ansicht, daß die Aufnahme der Slowakei in den Europarat auch um den „Preis, die Saite zu überspannen“, verhindert werden müßte.

Die Mitglieder der parlamentarischen Versammlung des Europarates haben die Budapester Regierung in den letzten Tagen vorsichtig kritisiert. Zwar sei der Schutz der nationalen Minderheit Aufnahmekriterium für den Europarat, doch nutze Budapest seine Position für innenpolitische Ziele aus. Obwohl Ungarn mit seiner Haltung somit offenbar alleine steht, dürfte aufgrund des Einstimmigkeitsprinzipes ein Kompromiß zustandekommen und die Aufnahme der Slowakei um einige Monate verschoben werden. Bei dem regulären Europarats-Außenministertreffen im September ist für die Aufnahme der Slowakei nur noch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Wie genau prüft der Europarat?

Das ungarische Veto gegen die Slowakei ist ein Präzedenzfall. Zwar hatte zu den Europaratsberatungen über das Beitrittsgesuch Estlands Mitte Mai dieses Jahres Rußland eine Protestnote an die 29 Mitgliedsstaaten gesandt, doch im Unterschied zu Ungarn ist Rußland lediglich Mitglied der „Europäischen Kulturkonvention“. Gegen die Aufnahme Estlands stimmten dann auch nur drei der rund 200 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung.

Die jetzigen Diskussionen über die Berechtigung des ungarischen Vetos könnten auch Anstoß zu einer Intensivierung der Arbeit des Europarats sein: Bisher wurden aus Straßburg zur Überpüfung der Beitrittsvoraussetzungen „pluralistische Demokratie“, „Einhaltung der Menschenrechte“ und „Rechtsstaat“ lediglich Kommissionen zu den Antragstellern entsandt. Obwohl diese je nach Zusammensetzung der Delegation und der Gesprächspartner nicht selten zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kamen, hat dies die Aufnahmeprozedur kaum berührt. Zahlreiche Konflikte – so etwa die Frage des Staatsbürgerrechtes im Baltikum – wurden vor dem Beitritt nicht gelöst. Zudem gab der Europarat mit der Aufnahme ein wichtiges Druckmittel aus der Hand. Zu heftigen Diskussionen könnte in Zukunft das Beitrittsgesuch Kroatiens führen. Die ex-jugoslawische Republik hat ebenso wie zahlreiche GUS-Staaten bisher einen Sondergaststatus.

In der Slowakei haben die Anforderungen des Europarats zu der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes geführt, der zweisprachige Ortsschilder sowie die Verwendung ungarischer Namen ermöglicht. Daß das Parlament in Bratislava diesen Entwurf am vergangenen Freitag zwar debattierte, dann jedoch auf den 6. Juli vertagte, macht das Dilemma der slowakischen Regierung deutlich. Zum einen sind Premierminister Mečiar die ungarischen Forderungen zum Anheizen nationalistischer Stimmungen stets willkommen – zum anderen braucht er zur Hebung des internationalen Ansehens der jungen Republik jedoch ein positives Votum des Europarats.

Da der Euroaparat die beiden Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei gleichzeitig aufnehmen wollte, wäre durch das ungarische Veto auch die Mitgliedschaft der Tschechischen Republik bedroht. Seit Tagen beherrscht dieses Thema die ersten Seiten der tschechischen Medien; zum erstenmal seit der Trennung macht sich in Prag eine vorsichtige pro-slowakische Stimmung breit. Präsident Václav Havel selbst zitierte den ungarischen Botschafter zu sich, um die ungarische Veto-Drohung als überzogen zu verurteilen.

Doch die Europarats-Mitgliedschaft der Tschechischen Republik könnte auch noch von einem anderen Staat verhindert werden: Das Fürstentum Liechtenstein fordert seit Monaten eine Entschädigung für die umfangreichen Ländereien, die nach 1945 von der Prager Regierung enteignet wurden.