piwik no script img

Und sonntags toben die Kinder

■ Unter jedem Dach ein „Ach" (6) / Das Kulturzentrum Schlachthof kämpft für die Gaukler, Zauberer, Theatermacher - und die Kurzen

Nicht immer zeigt sie fünf vor zwölf, die große Uhr am Schlachthof-Turm, aber immer wieder. 600.000 Mark Zuschuß haben die Kulturdeputierten dem Kulturzentrum an der Findorffstraße fürs nächste Jahr zugesprochen — für die Schlachthof-MacherInnen ein „akzeptabler Einstieg in den Kultur- Haushalt“, „eine gewisse Wertschätzung“, „aber noch immer nicht genug“. Mitarbeiter Jürgen Schmitz: „Wir jubeln weder, noch dramatisieren wir.“

In den zwölf Jahren seines Bestehens hat sich der Schlachthof Schritt für Schritt seinen Stellenwert in der alternativen Kulturszene erarbeitet. Was von Beginn an Basisdemokratie und Kampf bedeutete: Ende der 70er wurde das leerstehende Haus besetzt; der Schlachthof-Verein wurde ins Leben gerufen und begab sich auf die Gratwanderung freier sozio-kultureller Arbeit. Andere Bevölkerungsschichten sollen andere Kultur machen und erleben. In einem Haus, das grundsätzlich allen offensteht.

Kulturwerkstätten und Gruppen aus dem Schlachthof- Verein zogen ins Haus: Noch heute wird an Videos und Zeitungen gemeinsam gearbeitet, und einmal wöchentlich übt sich Groß oder Klein im Aktzeichnen, im freien Schauspiel, im Kinderzirkus Tortellini. Nebenbei machte sich der Schlachthof auch als Veranstalter einen Namen; Rockkonzerte und Roots- Nights sind aus der Kesselhalle nicht mehr wegzudenken, die Galerie im Turm hat zuletzt mit der Hausfrauenkunst einen spektakulären Ausstellungszyklus gezeigt, und jeden Sonntag toben die Kinder beim Theater auf dem Magazinboden.

„Wir versuchen, mit alternativer Kultur Einfluß auf die Gesellschaft zu nehmen“, so Jürgen Schmitz. Längst engagiert sich der Schlachthof auch außerhalb seiner Gemäuer. Seine Leute waren beim Ostkurven-Fanprojekt im Weserstadion mit dabei, organisierten eine Podiumsdiskussion über Aids im Knast oder machen sich für den Flohmarkt auf der Bürgerweide stark.

Die Werte wandeln sich, und der Schlachthof will reagieren. Demnächst dürfen die HipHop- Skater in die Halle. Und die definitive Tanzmacht hat ein neues (Tanz-)Publikum angezogen und das Schlachthofteam dem Kommerz ein Stück nähergebracht. Weil der Verein Geld umschichten muß. Vieles im Programm war bislang nur über ABM-Maßnahmen oder ehrenamtliche MithelferInnen möglich, die jetzt sukzessive wegfallen. Das reißt große Löcher und heißt unweigerlich, daß Bereiche gekappt werden müssen.

Das Kindertheater ist einer davon. 60 Veranstaltungen (die Hälfte aller Kindertheater-Aktionen in ganz Bremen) gehen jedes Jahr unter der organisatorischen Regie von Anna Jänichen über die Bühne im Magazinboden. Anna Jänichens ABM- Vertrag läuft wohl noch bis zum Jahresende. Auch wenn der Schlachthof es schafft, ihre Stelle in irgendeiner Form zu übernehmen, das Kindertheater wird darunter zu leiden haben.

Das Bremer Kultur-Ressort tut sein Übriges dazu. Zwar gibt es dort seit Neuestem Extra-Gelder fürs Kindertheater, eine sieben-köpfige Jury behält sich jedoch die Entscheidung darüber vor, wer gefördert werden darf. Und siebt kräftig aus: Kein Musiktheater, keine Zauberei, keine Kleinkunst oder Gaukeleien für Kinder werden bezuschußt. „Das kommt einer inhaltlichen Zensur gleich“, so Anna Jänichen, „und zeugt von Ignoranz. Kindertheater lebt von Phantasie und Spiel. Weshalb ein Clown oder Penny Penske mit seinem Theaterzirkus davon nicht genug aufbringen können sollte, ist überhaupt nicht nachzuvollziehen.“ Trotzdem bleibt dem Schlachthof nichts anderes übrig, als die Vorgabe der Jury akzeptieren, da die Behörde in diesem Jahr die obligatorische Mindestgage für die KünstlerInnen erhöht hat. Wenn der Schlachthof also anderes Kindertheater haben will, muß er es selbst finanzieren, und das ist zu teuer geworden.

Für Anna Jänichen ist das ein Rückschlag: „Wir können unser Niveau nicht halten und werden im nächsten Jahr wahrscheinlich nur halb so viel Programm wie bisher machen können.“ Die Unterstützung erweist sich als Handicap; niemand aber will sich entmutigen lassen. Das Schlachthofteam kämpft weiter. Und Anna Jänichen sucht für ihre neue Theatergruppe mit ausländischen Kindern noch TeilnehmerInnen. Start ist im September. Silvia Plahl

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen