■ Der Verteilungskampf um die reuigen „Essis“ bricht los
: Bitte um Blutzufuhr!

Norbert Blüms Vorstoß, dem Zweimillionenheer ehemaliger SED-Mitglieder den Weg in die demokratischen Parteien nicht länger zu versperren, ist wahrhaft historisch zu nennen. Es war eine der unappetitlichsten Nachwendelügen, den ehemaligen SEDisten die gesamte Schuld in die Schuhe zu schieben, während die Christdemokraten, die Liberalen, die Nationalen und die Bauernpartei nach etwa vier Wochen Skrupel als Sieger der Geschichte unverdrossen wieder zurück an die Schalthebel der Macht drängten. Ein gewichtiges Moment wird die demokratischen Parteien wohl zwingen, den Blüm-Vorschlag anzunehmen: die erbärmlichen Mitgliederzahlen im Osten. Eine Blutzufuhr ist unumgänglich. Denn was, wenn die SPD die Wahlen im kommenden Jahr gewinnt?

Schon heute erhebt sich unüberhörbar in den Reihen der Ururenkel August Bebels die Frage: Wen setzen wir auf die Posten? Bei den etwa 70 Mitgliedern dieser Partei zum Beispiel in der Landeshauptstadt Erfurt wird Prügel als Entscheidungshilfe unumgänglich sein. Wahrscheinlich werden bei der kommenden Ämterverteilung sogar die SPD-Reinigungskolonnen Hiebe beziehen, um sie zu überzeugen, das Weimarer Rathaus oder das Thüringer Bildungsministerium zu übernehmen. Der Vorschlag von Norbert Blüm muß also gründlich durchdacht werden. – Doch noch zeigen die ostdeutschen Forschdemokraten die Zähne.

Die alten Blockflöten wollen um keinen Preis mit den Unholden von einst zusammenarbeiten oder gar gezwungen werden, den Parias von heute erneut zu dienen. Dennoch, die Verteilungskämpfe um die geläuterten Essis stehen unmittelbar bevor. „Wer bekommt die meisten und vor allem die besten ab?“, das ist die Frage Nummer eins. Ferner: „Wie soll es geschehen?“ Im Fall der CDU vielleicht durch öffentliche Massentaufe mit anschließender Parteiaufnahme. Bei der SPD durch Nachweis einer sozialdemokratischen Urgroßmutter. Aber was machen die anderen? Ungewöhnliche Lösungen müssen gefunden werden, zum Beispiel: Alle Cäsars und Caspars müssen in die CDU, die Siegfriede und Saskias in die SPD, die Ludwigs und Leilas zu den Liberalen und die Bertas, Brittas, Bertholds zu den Bürgerbewegten.

Eine winzige Furcht freilich bleibt. Die tüchtigen, moralisch empfindsamen einstigen Essis werden wohl abwinken, nach all der schweren Prügel, die sie schon vor, aber auch nach der Wende unaufhörlich bekommen haben. „Nie wieder in eine Partei“, hörte man schon viele sagen. „Ich bleibe besser, wo der Pfeffer wächst.“ Und jene anderen, die sich wieder einmal überzeugen lassen, die haben keinen Pfeffer. Dafür aber die notwendige Wäßrigkeit für all jene trüben Süppchen, die wohl auch künftig und noch lange auf ostdeutschen Feuern gekocht werden. Henning Pawel, Erfurt