USA: Easy living oder Horrortrip

■ Schüleraustausch boomt / Für viele ein Statussymbol / Kosten im Schnitt 8.000 Mark

USA: Easy living oder Horrortrip

Schüleraustausch boomt/ Für viele ein Statussymbol/ Kosten im Schnitt 8.000 Mark

Hannah weiß, warum sie nach Amerika will. “Das ist so schön weit weg“, meint die 15jährige Bremer Gymnasiastin. Am 5.August ist es soweit: Für ein Jahr wird sie fern der Heimat die Schulbank in Midland/Texas drücken. „Alle wollen nach Amerika, keiner nach Polen oder so“, klagt Inga Strietzel, die einst selber als Austauschschülerin für ein Jahr in Nebraska war. Sie bereitet mittlerweile als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Organisation Youth for Understanding Jugendliche auf ihren Trip vor. Ihre Erfahrung: Ein Großteil der Teenies denkt beim Traumland USA oft nur an „easy living“ unter kalifornischer Sonne. Doch ein Jahr Amerika sei zunächst „ein Schritt ins Nichts“, so Inga, auf den „harte Kämpfe“ mit fremder Kultur folgen.

Immer mehr Eltern gönnen ihrem Sprößling den persönlichkeitsfördernden Trip über den großen Teich. Dafür müssen sie die stolze Summe von 7.000 bis 9.000 Mark berappen — das Taschengeld kommt noch hinzu. Dennoch, die Branche boomt. Neue Anbieter schießen aus dem Boden. Alteingesessene Unternehmen wie „FEE-Sprachreisen“ und „IST“ gründen gemeinnützige Tochtergesellschaften, die in höherem Ansehen stehen und Steuervorteile bringen. Allein der Markt-Multi „Youth for Understanding“ schickt dieses Jahr 1.200 SchülerInnen über den Atlantik, über 3.000 hatten sich beworben.

Ein Jahr an einer amerikanischen High-School — für viele Teens ein unverzichtbares Status- Symbol. Ein Jahr Austausch, den die Hochglanzprospekte der Austauschorganisationen vielversprechend als „Test der eigenen Selbständigkeit“ (IST) oder „viel mehr als bloß ein sprachlicher Lernerfolg“ (YfU) anpreisen.

So positiv sieht Barbara Engler von der Verbraucherschutzorganisation „Aktion Bildungsinformation“ das Schülerjahr in den USA längst nicht. „Das ist 'ne richtige Massenpsychose!“, urteilt sie über die inflationäre Entwicklung des Teenage-Exchange. Oft überfordere die „andere Wirklichkeit“ Amerika die Jugendlichen: Die Umstellung trifft oft wie ein Schock. Ausschlaggebend für das Wohlbefinden der Zöglinge sei dabei das Verhältnis zu den Gasteltern. Spannungen, Ängste und Krankheiten seien keine Seltenheit, wenn die Beziehung zu den Ersatzeltern nicht stimmt. Immerhin 25 Prozent der deutschen AustauschschülerInnen wechseln die Familie, weiß Engler.

Zwar muß, wer sich einen deutschen Teenie ins Haus holen möchte, erst eine Eignungsprüfung bestehen. Doch da wird, so Engler, oft genug „ein Auge zugedrückt“. Denn aufnahmewillige Gastfamilien sind Mangelware. Da „Mom“ und „Dad“ an dem Austausch keinen Penny verdienen, ist Gastfreundschaft in den schweren Zeiten allgemeiner Rezession selten anzutreffen. Drum glücklich, wer überhaupt eine feste Bleibe hat. Nicht wenige deutsche AustauschschülerInnen soll es geben, die in Amerika von Haus zu Haus ziehen und ihre Vorzüge potientiellen Eltern mit Sonderdiensten schmackhaft machen. Englers Kommentar: „Die müssen sich da anbieten wie Sauerbier!“

Um die übergroße Nachfrage dem geringen Angebot an qualifizierten Gastfamilien anzupassen, wählen die Austauschorganisationen schärfer unter den SchülerInnen aus. Gute Englischkenntnisse und Schulnoten sind die Grundvorraussetzung. Meistens kommt noch ein persönliches Interview hinzu, das zeigen soll, wie er/sie „sich so im Ausland macht“, wie Pressereferentin Ulrike Doepgen von YfU es ausdrückt. Ihr Kollege Marcus König von „IST“ bringt das Auswahlkonzept seines Unternehmens so auf den Nenner: „Wir suchen nicht das Heimchen am Herd!“. Wer mit der Einstellung, daß „in Deutschland sowieso alles besser“ sei, verreisen wolle, brauche gar nicht erst die Koffer zu packen. Jung, dynamisch, aufgeschlossen sollen sie sein — die idealen AustauschschülerInnen. Immer ein „Keep Smiling“ auf den Lippen meistern sie Heimweh und Kulturschock, so wie die duften Jungen und Mädchen aus dem IST-Werbeprospekt. Als wahre Frohnaturen gehen die IST-Auserwählten gerne in die High-School, denn „da geht noch was ab“, sagt König.

Manchmal kommen die Teenies noch selbständiger wieder, als es ihren Eltern lieb ist. Lutz: „Die hätten am liebsten das Kind wieder gehabt, das sie vor einem Jahr ins Flugzeug gesetzt haben.“

Gisa Funck