Mechanik des Zaubers

■ Handspring Puppet Company zeigt „Woyzeck On The Highveld“

Bedächtig deckt „das“ Mensch den Tisch, Teller hier, Flasche dort, das Glas hierhin oder dorthin? Woyzeck, die von zwei Spielern geführte, fast lebensgroße Handpuppe, bewegt akribisch die Gegenstände auf dem weißen Tischtuch. Konzentriert verfolgen die Spieler das verunsicherte, ängstliche Bemühen um irgendeine unbekannte Ordnung. Die von Adrian Kohler gebaute Figur mit den traurig-verwirrten Gesichtszügen, ein in menschlichen Gesten sprechendes Instrument, entwickelt ein Eigenleben. Auf der Leinwand im Hintergrund der Bühne spiegeln Zeichen von Teller, Flasche und Glas die Ver-Rücktheit der Dinge.

Adrian Kohler ist Mitbegründer der Handspring Puppet Company, die mit Woyzeck On The Highveld beim Sommertheaterfestival auf Kampnagel gastiert. Die Company erzählt in melancholischen Bildern eine Rumpffassung des Büchnerschen Dramas, die an eine Jahrmarktsmoritat erinnert. Ein Marktschreier verspricht zu Beginn der Vorstellung durch die Flüstertüte „a beautiful murder“, nichts dazu erfunden, echte Schrecken, wahres Schicksal. Braungraue erdige Farben bestimmen den ausladenden Guckkasten der Bühne, die gerahmt ist von Bretterwänden, Telegraphenmasten, schummriger Leuchtreklame und düsteren Rohren. Im Hintergrund der Zauberkiste die Leinwand, über die Filme wie Schattenspiele huschen und sich die karge Landschaft des Bergbaugebiets Highveld als gezeichnete Animation zieht und auf der am Mordabend der blutrote Mond explodiert. Auf der Bühne bleiben die Spieler unsichtbar. Vor der Bühne eine weitere Rampe, hinter der die Spieler sehen lassen, wie sie das mechanische Personal führen.

In der Version des südafrikanischen Filmemachers und Künstlers William Kentridge lebt Woyzeck im Südafrika der Jetztzeit. Der mit Woyzeck seine Experimente treibende Doktor ist ein feister Weißer. Er hält sein wunderliches Abhörgerät an Woyzecks Kopf und konfuse Straßenmusik ist zu hören. Im Kontrast dazu dringt aus dem dicken Schädel des Sargnagels vergnügte Streichermusik. Der Hauptmann ist eine dürre, gehetzte Gestalt. Beide Quälgeister sind grobgeschnitzte Charaktere einer dumpfen Macht und Karikaturen in einer Inszenierung, die das Publikum mit leisen eindringlichen Momenten ebenso fesselt wie mit lautem Jahrmarkt-Charme. Aus der Büchnerschen Rummelplatzattraktion des gelehrten Pferdes wird in diesem afrikanischen Woyzeck ein Nashorn, das rechnen und schreiben und in hohem Bogen in die Ränge pissen kann.

Die kleine Bühne wackelt, als der Minenvorarbeiter, der Woyzeck die Marie abspenstig macht, auf den Betrogenen mit einer Schaufel einschlägt. Im Spiel mit Illusionen wird das Puppenspieler-Handwerk nicht verborgen, doch wenngleich die mechanischen „Schauspieler“ profane Griffe zum Anfassen haben, verzaubert die Bühnenwirklichkeit das Publikum und manchem wird's um die Augen feucht. Kentridge macht aus dem Woyzeck keinen Anti-Apartheid-Agit-Prop-Helden, sondern schuf eine weltweit verständliche Parabel über Unterdrückung, Menschenverachtung und daraus folgender unbestimmter Wut. Doktor und Hauptmann sind am Ende höchst zufrieden: „A good murder!“ Der Marktschreier schweigt.

Julia Kossmann

heute und morgen, K 2,21 Uhr