Die Krieger des „wahren Islam“

Die arabischen Freiwilligen in Afghanistan: Von Saudi-Arabien, den USA und Pakistan ausgerüstet und finanziert / Jetzt sind sie lästig geworden / Konflikte zwischen den islamischen Staaten  ■ Aus Peshawar Ahmad Taheri

„Aussteigen!“ faucht der bärtige Mann mit der schußbereiten Kalaschnikow. Augenblicklich ist das Taxi mit dem Besucher aus dem Westen von einem Dutzend bewaffneter Männer umringt. Sie tragen die afghanische Kluft, sprechen untereinander aber arabisch. Das also sind die berüchtigten „Afghanis“, wie die arabischen Freiwilligen im afghanischen Krieg inzwischen genannt werden. „Was wollen Sie hier?“ fragt der Anführer in gebrochenem Englisch. „Sind Sie von BBC, Voice of America oder CIA?“

Der beleibte Mann mit der dunklen Sonnenbrille hört auf den Tarnnamen Abdal-Ghaher, „Diener des Gewaltigen“, und kommt aus dem Jemen. Seit fünf Jahren steht er im Dienste des fundamentalistischen Rebellenführers Gulbuddin Hekmatyar und führt mittlerweile eine Gruppe von 20 Arabern im Kabuler Stadtteil Dschel Sotun an. Die „vierzig Säulen“, wie das Viertel auf deutsch heißt, sind der Brückenkopf Hekmatyars in der afghanischen Metropole.

Sechshundert Afghanis halten sich noch im Lager der afghanischen Rebellen auf, meist Jemeniten und Ägypter. Eine Gruppe von ihnen bildet die persönliche Leibgarde des Fundamentalistenchefs. Auf sie kann sich Hekmatyar anscheinend eher verlassen als auf seine paschtunischen Krieger mit ihrem Hang zum ständigen Frontwechsel. „Schande, Schande“, schimpft der Taximann auf der Rückfahrt ins Stadtzentrum, „haben wir die Russen besiegt, um uns vor diesen verfluchten Wahhabiten zu ducken?“

Etwa 30.000 machten sich nach Mittelasien auf

Wahhabiten sind freilich nicht alle Afghanis. Nur ein Teil kommt aus dem saudischen Königreich, wo die strenge Lehre des Wahhabismus der herrschende Glaube ist. In fast allen islamischen Ländern westlich des Euphrat folgte die fundamentalistische Jugend während der achtziger Jahre dem Ruf zum Heiligen Krieg im fernen Afghanistan. Für die radikalen Moslems war das mittelasiatische Hochland eine Art islamisches Vietnam.

Schon immer galt das Land am Hindukusch, zwischen dem schiitischen Iran und den heidnischen Reichen der Russen, Inder und Chinesen gelegen, als eine Hochburg sunnitischer Rechtgläubigkeit. Dort, so meinten die islamischen Internationalisten, werde der Kampf zwischen dem Islam und dem Heidentum entschieden.

Etwa 30.000 Freiwillige machten sich in Richtung Mittelasien auf, um zum Ruhme des Propheten am Dschihad teilzunehmen. Doch nicht alle weitgereisten Gottesstreiter überschritten die afghanische Grenze. Für die meisten endete der „Kreuzzug“ im pakistanischen Peshawar, dem Hinterland der afghanischen Mudschaheddin. Sie schlugen im Peshawarer Stadtteil „University Town“ ihre Zelte auf. Dort leisteten sie humanitäre Hilfe für afghanische Flüchtlinge und logistischen Beistand für die afghanischen Kämpfer. Sie versuchten vor allem, den afghanischen Widerstand mit ihrem „wahren Islam“ zu beglücken. Die saudischen Emissäre etwa hatten die Aufgabe, unter den Mudschaheddin dem Wahhabismus Geltung zu verschaffen und den Einfluß der Schiiten und ihrer iranischen Schutzherren zurückzudrängen.

Für ihre Ziele gewannen sie mit viel Geld den paschtunischen Theologen Abd Ar-Rasul Sayyaf, einen der sieben sunnitischen Mudschaheddinführer. Mit Petrodollars gelang es ihm, scharenweise Kämpfer von anderen Gruppen abzuwerben. Bald war er nach Hekmatyar zweitmächtigster Mann im afghanischen Widerstand.

Hekmatyars Helfer kamen aus den Städten

Als Gegenleistung schrieb Sayyaf den Glauben der Saudis auf seine Fahnen. Seine Männer mußten nun gemäß dem wahhabitischen Ritus mit verschränkten Armen das Gebet verrichten. Sayyaf selbst änderte seinen Vornamen „Abd Ar-Rasul“, „Diener des Propheten“, in „Abd Rabb Ar-Rasul“, was auf deutsch „Diener des Propheten Gottes“ heißt, denn nach der Lehre Abdul Wahhabs, des Begründers des Wahhabismus, gebührt allein Gott alle menschliche Ehrerbietung.

Doch nicht nur der Wahhabite Sayyaf hatte arabische Helfer, sondern auch Gulbuddin Hekmatyar, der eigentliche Islamist unter den Mudschaheddin-Chefs. Seine Afghanis kamen aber nicht aus der arabischen Wüste, sondern aus arabischen Städten wie Kairo, Algier, Oman oder Damaskus.

Ihr missionarischer Eifer störte die Mudschaheddin

Sie gehörten meist den Moslembrüderschaften und deren Abspaltungen an, unterbittliche Streiter eines politischen und militanten Islam. Schon 1981 schlossen sich Hunderte von syrischen Ichwani, wie die Moslembrüder hier genannt werden, ihrem Gesinnungsgenossen, dem paschtunischen Rebellenführer Hekmatyar an, nachdem ihr Aufstand in der syrischen Stadt Homes niedergeschlagen worden war. Die Saudis versorgten die muslimischen „Kreuzfahrer“ mit Reisepapieren und Geld; die Amerikaner unterwiesen sie in pakistanischen Trainingslagern im Umgang mit Waffen und Sprengstoff. Die Pakistanis stellten die Kontakte zum afghanischen Widerstand her und schleusten die Kampfwilligen nach Afghanistan.

Beliebt waren indes die zugereisten Ichwani bei ihren afghanischen Waffenbrüdern kaum. Ihr missionarischer Eifer und ihr Fanatismus störte die Afghanen. Für die afghanischen Mudschaheddin bedeutete der Dschihad lediglich den Kampf gegen die fremden Besatzer, für die Afghanis jedoch einen heiligen Krieg zwischen Glauben und Unglauben.

Ihre ständigen Ermahnungen gegen Musik, Rauchen oder Haschischgenuß ging den Mudschaheddin auf die Nerven. Auch die bessere Ausrüstung und Verpflegung der fremden Krieger war den Afghanen ein Dorn im Auge. In ihrem Ärger spotten sie noch heute über den arabischen Mangel an Mannesmut. „Die ganze Nacht redeten sie vom Kampf“, erzählt Schukrullah, ein paschtunischer Krieger, „am Tag aber, wenn die Russen kamen, hatten sie alle Durchfall.“

Sie waren die Brücke zum Nahen Osten

Die fehlenden Heldentaten ersetzten die Afghanis durch Grausamkeiten, wie vielfach berichtet wird. Zögerten die Mudschaheddin, einen gefangenen Kommunisten zu töten, weil er zum selben Stamm gehörte wie sie oder weil Aussicht auf ein fettes Lösegeld bestand, dann liquidierten die arabischen Mitkämpfer den „Heiden“, was gelegentlich zu blutigen internen Auseinandersetzungen führte. Doch auf die Gast-Mudschaheddin wollten die afghanischen Rebellenführer nicht verzichten. Die arabischen Brigaden waren für sie die Brücke zu den islamischen Bewegungen im Nahen Osten und verschafften ihnen Zugang zu arabischen Geldern.

Mit dem Sieg der Mudschaheddin im Frühjahr 1992 war der Dschihad, der Heilige Krieg, endgültig zu Ende. Für die Afghanis gab es in Afghanistan nichts mehr zu tun. Sie verließen nach und nach den Hindukusch. Doch nicht alle kehrten in ihre Heimat zurück.

Auf der Suche nach dem neuen Dschihad gingen manche nach Kaschmir, um gegen die „indischen Heiden“ zu kämpfen. Andere überquerten den Amu Darya und schlossen sich der islamischen Bewegung in Tadschikistan an, die bis heute noch gegen die kommunistischen Machthaber in Duschanbe kämpft. Bald hörte die Welt von Afghanis in Bosnien. Man hielt sie zunächst für Afghanen, weil sie so gekleidet sind und sich Mudschaheddin nennen.

Vor allem in den eigenen Heimatländern verbreiteten die Afghanistan-Veteranen Angst und Schrecken. Sie bildeten, so hieß es, den bewaffneten Arm der islamistischen Parteien. Man schrieb ihnen eine Reihe der Anschläge im Jemen, eine Serie von Polizistenmorden in Ägypten, mehrere Überfälle auf Militärposten in Algerien zu. In Jordanien verbot 1991 König Hussein die Afghani-Organisation „Armee Mohammads“. Sie hätte eine Vielzahl von Terroraktionen durchgeführt. 21 Afghanis wurden zum Tode verurteilt, doch später vom Monarchen begnadigt.

Die Furcht vor den Afghanis hat inzwischen zu Konflikten zwischen den islamischen Staaten geführt. Ägypten forderte von der pakistanischen Regierung, 1.500 „Terroristen“, die sich in Peshawar aufhielten, an Kairo auszuliefern. Doch Islamabad weigerte sich und schickte 150 von der ägyptischen Polizei gesuchte Afghanis in den Sudan, wo die Fundamentalisten an der Macht sind.

Der Druck auf Pakistan hat inzwischen zugenommen

Dabei spielte die mächtige islamistische Partei am Indus, nämlich „Dschamaat-e Islami“, eine entscheidende Rolle. Dschamaat, Schirmherr der arabischen Brigade in Afghanistan, übt einen großen Einfluß im pakistanischen Militär und Geheimdienst aus. „Es wäre eine große Schande,“ schrieb die Zeitung Amn die den pakistanischen Fundamentalisten nahesteht, „wenn die besten Söhne des Islam an die ägyptischen Schergen Amerikas ausgeliefert würden.“

Doch der Druck auf Pakistan hat inzwischen zugenommen. Außer den arabischen Staaten drangen auch die USA auf ein entschiedeneres Vorgehen Pakistans gegen die drei- bis viertausend Afghanis, die sich noch in pakistanischen Städten aufhalten. Washington vermutet eine Verbindung zwischen den Attentätern im New Yorker World Trade Center und den Afghanis, denn der in New York lebende Fundamentalist Scheich Omar Abdul Rahman, den man der Beteiligung an dem Anschlag verdächtigt, gilt als Mentor der Afghanistan-Veteranen.

Bereits vor zwei Jahren waren die Amerikaner über ihre einstigen Schützlinge erbost. Eine Vielzahl von Afghanis hatten im Golfkrieg für Saddam Hussein Partei ergriffen. Sie hatten in Peshawar die irakische Fahne gehißt und in Islamabad zusammen mit den pakistanischen Fundamentalisten das Sternenbanner verbrannt.

Um die arabischen Geldgeber und die mächtigen USA zu besänftigen, hat Islamabad vor kurzem alle Afghanis, die keine gültigen Papiere haben, aufgefordert, das Land zu verlassen.

Heimkehrende Araber überfallen und ausgeraubt

Für viele von ihnen bedeutet die Rückkehr in die Heimat zumindest Gefängnis. Erst vor wenigen Wochen verhaftete die jordanische Polizei 24 heimgekehrte Afghanis gleich am Flughafen. „Zeigen Sie Ihren Paß“, sagt der pakistanische Beamte zu einem Jordanier im „Home Office“ von Peshawar, das für Ausländer zuständig ist. „Den haben mir die Afghanen weggenommen“, antwortet der arabische Parteigänger Hekmatyars.

Tatsächlich haben die afghanischen Mudschaheddin oder räuberische Banden nach dem Sieg des Islam über den Kommunismus die heimkehrenden Araber am Khyber-Paß überfallen und ausgeraubt. So mancher fremde Kreuzritter erreichte das pakistanische Peshawar barfüßig. „Sie kamen ohne Hose bei uns an“, sagt Schukrullah, der paschtunische Kämpfer, „und kehren ohne Hose nach Haus zurück. Das ist nur gerecht.“