Im Osten fehlen 34.000 Lehrstellen

■ SPD fordert Sofortprogramm / Waigel blockt ab

Bonn/Berlin (taz) – 56.575 Ausbildungswillige aus Ostdeutschland sind noch auf der Suche nach einer Lehrstelle – doch die Aussichten, eine zu finden, haben sich im Vergleich zum Vorjahr erheblich verschlechtert. Zum einen gibt es mehr Schulabgänger, zum anderen sehen sich die Betriebe wegen der schlechten Wirtschaftssituation kaum in der Lage, weitere Lehrstellen anzubieten. „Die Zahl derer, die keine Lehrstelle finden werden, wird höher sein als letztes Jahr“, schätzt der Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit. Ende Juni waren im Osten noch 22.415 Ausbildungsstellen unbesetzt – rein rechnerisch werden 34.160 BewerberInnen leer ausgehen.

Im letzten Jahr konnten von den insgesamt ostdeutschen 138.000 BewerberInnen bis auf 1.200 doch noch alle vermittelt werden, in Brandenburg sogar alle Ausbildungswilligen. „Das ist uns aber nur gelungen, weil wir mit Mitteln aus dem Arbeitsförderungsgesetz außerbetriebliche Ausbildungsplätze finanzieren konnten“, sagt Rupert Schröter, Sprecher der Brandenburger Arbeitsministerin Regine Hildebrandt (SPD). Doch der entsprechende Paragraph 40 c 4 im AFG wurde zum Jahresende gestrichen und damit fällt die „letzte Auffanglinie“ weg.

Diese „kurzsichtige Fehlentscheidung“ müsse zurückgenommen werden, forderte Regine Hildebrandt gestern in Bonn, oder es müsse ein Hilfsprogramm her, das mindestens 20.000 Jugendlichen die Chance einer Ausbildung gibt. Die 14 bis 15-jährigen seien in die Ferien gegangen, ohne zu wissen, was jetzt auf sie zukommt, monierte die Ministerin. Die Bundesregierung wisse seit langem, daß Ausbildungsplätze fehlten. Doch man lasse die Jugendlichen tatenlos ins Leere laufen. Die Kosten für ein Sofortprogramm schätzt sie auf 60 bis 80 Millionen Mark.

Im Bildungsministerium liegt seit zwei Monaten ein solches Programm fertig ausgearbeitet in den Schubladen. Anfang Juni sollte es in Kraft gesetzt werden, doch dazu kam es nicht, weil Finanzminister Theo Waigel (CSU) den Daumen auf der Staatskasse hält. Bei einem für heute anberaumten Spitzengespräch mit dem Kanzler soll der Kassenwart bekniet werden.

Einen Haken haben allerdings auch die außerbetrieblichen Lehrstellen: Statt des ohnehin kargen Lehrgeldes – in der Metallbranche beträgt es laut Tarif 736 Mark im ersten Jahr – erhalten die Jugendlichen nur 300 Mark.

Kein Wunder, daß viele Jugendliche dann lieber im Westen nach einer Ausbildungstelle suchen. Hier kommen auf eine BewerberIn immerhin zwei Lehrstellen, die Chancen stehen also nicht schlecht. Letztes Jahr wählten 19.000 Jugendliche diesen Weg. Insgesamt machen gegenwärtig 43.000 Jugendliche aus den neuen Bundesländern eine Ausbildung in Westdeutschland, dreiviertel davon im Tages-Pendel-Bereich. Eine Entwicklung, die nicht nur die PolitikerInnen in Ostdeutschland mit Sorge verfolgen. Arbeitsmarktpolitisch sei dies problematisch, heißt es auch bei der Bundesanstalt für Arbeit. „Wenn der Aufschwung im Osten kommt, fehlen dort die ausgebildeten Arbeitskräfte.“ Gut ausgebildeter Nachwuchs ist bei Wirtschaftsansiedlungen ein wichtiger Standortfaktor. Den von der Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Regionen droht ohnehin schon die Überalterung, weil die mobilsten Arbeitskräfte abwandern.

Auch vom Ausbildungsnotstand sind gerade die Regionen betroffen, die besonders unter Arbeitslosigkeit leiden, wie die Arbeitsamtsbezirke Annaberg, Bautzen, Dresden, Pirna, Eberswalde, Cottbus oder Neuruppin.

In Cottbus und Eberswalde kommen auf einen noch unbesetzten Ausbildungsplatz 4,3 BewerberInnen, in Neuruppin sind es 4,1 und in Frankfurt/Oder 3,3. In Brandenburg ist die Zahl der Bewerber für einen Ausbildungsplatz um 10 Prozent gestiegen, die gemeldeten Ausbildungsplätze sind allerdings um 8,9 Prozent zurückgegangen. Das Arbeitsministerium rechnet mit einer Lücke von rund 3.500 Plätzen. Das entspricht in etwa der Zahl der Jugendlichen, denen im vergangenen Jahr durch das AFG ein außerbetrieblicher Ausbildungsplatz verschafft werden konnte. Dorothee Winden