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Nölle: „Unsere Konzepte sind völlig falsch“

■ Dramatische Inszenierung des Stücks „Ratlose SPD-GRÜNE-FDP-Koalition gegen ratlose CDU-Opposition“ / Kulisse: Arbeitslosigkeit

Brav saßen gestern sämtliche SPD-SenatorInnen und-Abgeordnete in der Bürgerschaft — ganz offensichtlich zur Präsenz verdonnert. Die SPD wollte mit einer „Aktuellen Stunde“ der Bürgerschaft über die Arbeitsmarktsituation ihr Profil als Partei im Interesse der Arbeiter unterstreichen. Arbeiter der Schichau- Seebeck-Werft aus Bremerhaven waren dazu auf die Tribüne eingeladen.

Den Nacken fest in Richtung der Arbeiter auf der Zuschauertrübune gedreht, eröffnete der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Detmar Leo, das Schauspiel mit einem Bekenntnis: „Patentrezepte“ habe er nicht. Aber daß im Osten Werftaufträge mit 38 Prozent subventioniert werden, im Westen aber die Werfthilfe gestrichen werden soll, „das können wir so nicht hinnehmen“. Beifall vor allem bei der SPD. Schuld an der Misere, das war für Leo klar, hat die (CDU/ FDP-) Bundesregierung.

Als Leo dann den Kopf ganz drehte und sich in aller Form bei dem hinter ihm sitzenden Bürgermeister für dessen „Bemühungen“ in Sachen Klöckner-Rettung "bedankte" — Applaus bei der SPD — platzte dem FDP-Wirtschaftspolitiker Braun der Kragen. „Und nun zu den konkreten Maßnahmen“, rief er dazwischen. Lachen und Applaus bei der CDU.

„Nicht sehr glücklich“ fand auch Kollege Schramm von den Grünen, daß die SPD sich „als Retter der Nation und der Arbeitsplätze“ darstelle. Wedemeier auf der Regierungsbank verzog keine Miene: Das ging an ihn, der sich mit dieser Pose auf seinem SPD-Parteitag ganz groß dargestellt hatte und dafür jetzt die Leo- Dank-Adresse einstreichen durfte.

Wie hohl die Rede des SPD-Vertreters gewesen war, wurde richtig deutlich, als die Grüne Marieluise Beck zu demselben Thema sprach. Es sei eine strukturelle Krise, erklärte die, und „wer allein auf die Ankurbelung der Wirtschaft durch Investitionsförderung setzt, der verschweigt, daß wir es mit einem Wachstum ohne Arbeitsplatzzuwachs zu tun haben“. Die Entwicklung gehe doch dahin, so Beck, daß auf der einen Seite eine „Industriegesellschaft auf hohem Level“ entstehe, auf der anderen „immer mehr Menschen ausgemustert werden“. Qualifizierung sei für diese Menschen oftmals die einzige Chance — gerade deswegen sei es „schade“, daß im Sanierungsprogramm für Qualifizierungsmaßnahmen kein Geld vorgesehen sei. Beck forderte eine eine Verkürzung der Arbeitszeit. (Die FDP klatscht nicht.) Vor allem dürfe man die Arbeitslosen nicht ein zweites Mal bestrafen mit einer Senkung der Arbeitslosen- Bezüge — wenn man schon keine neuen Arbeitsplätze schaffen könne.

Das war sachlich und klar. Selbst Bürgermeister Wedemeier bezog sich später ausdrücklich auf diese Rede.

FDP-Mann Ziegler nutzte die Chance, um die Unabhängigkeit der Liberalen in der Ampel zu unterstreichen: „Solidaritätsadressen sind zwar für viele Balsam für die Seele, aber keine konkrete Hilfe, Herr Leo.“ Die hohen Kosten der Arbeit seien das Problem, (Beifall bei der CDU), Arbeitszeitverkürzung deshalb keine Lösung. Eine „Öffnung der Tarifverträge“ müsse her. Beim Investitions- Sonderprogramm — „Mir geht das zum Teil zu langsam“ — dürfe es keine Kürzungen geben.

„Aber bei der Sozialhilfe“, kam ein Zwischenruf aus SPD-Reihen. Die SPD war inzwischen hinreichend auf Krawall gegen die FDP gestimmt. Ziegler: „Wir brauche Eliten.“ Unruhe bei er SPD, „unglaublich“-Rufe. Beifall von der CDU. Ziegler (FDP): „Es wird mit uns keinen VEB Klöckner geben.“ Und so weiter. Trotzig schloß Ziegler, als gebe es keine Ampel-Koalition mehr: „Die FDP wird diesen Weg gehen.“ Konterte der SPD-Abgeordnete Isola per Zwischenruf: „Die Rede der CDU ist eben gehalten worden.“

Endlich schickte die CDU ihre Nummer Eins, den ex-Bürgermeister-Kandidaten und Sparkassen-Vorstand Nölle auf die Bühne. Er sollte nicht als zweiter, sondern als letzter reden, um ordentlich abrechnen zu können mit denen von der Ampel-Koalition. „Auch wir beklagen die Arbeitslosigkeit“, sagte Nölle. Die Ursache dafür seien aber die hohen Kosten der Arbeit. „Was verdienen Sie eigentlich“, rief Isola von hinten dazwischen. Nölle stockte kurz, ließ sich dann aber nicht zu einer Antwort hinreißen, sondern fuhr fort, Nachhilfe über die Vorteile von Arbeitszeitverlängerung bei gleichem Lohn zu geben. „Wir gehen den Weg des Marktes“, verriet er, die Bundesrepublik befinde sich in einer „Konsolisierungsphase“.

Die zunehmende Unruhe auf den SPD- Bänken muß er als mangelndes Verständnis interpretiert haben, jedenfalls suchte er nach immer einfacheren Erklärungen, bis er schließlich im zweiten Rede-Anlauf bei der Nähmaschine landete, deren Erfinder vor Jahrhunderten von den Arbeitern erschlagen worden war. Lachen bei der SPD, Pochen auf die Bänke bei der CDU — der spürt dankbar die Unterstützung.

Höhepunkt der Nölle-Rede über die CDU- Position: „Unsere Konzepte sind völlig falsch.“ (s.o., „Sockenschuß“) K.W.

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