Die Flex-Bande vor Gericht

■ Sieben Jungs knackten Tresore und müssen sich wegen 28 Einbrüchen verantworten

4. Oktober 1991. Nachts im Hohentorshafen hält ein Auto. Markus und Murat steigen aus. Salih braust mit dem Auto wieder davon. Sie gehen zu Fuß zum Gelände der Klöckner-Meyer- Werft. Bei einer Firma hebeln sie das Fenster auf, steigen ein und machen sich auf die Suche nach einem Tresor. „Wir haben oben angefangen. Als wir den Tresor fanden, habe ich ihn aufgeschnitten“, erzählt Markus vor der Jugendkammer des Landgerichts in Bremen. So ähnlich liefen fast alle 28 Fälle des Einbruchdiebstahls ab, für die insgesamt sieben Jungs „in wechselnder Beteiligung“ angeklagt sind.

Das Jugendgericht unterscheidet zwischen Jugendlichen (14-18 Jahren) und Heranwachsenden (18-21 Jahren). Einige der Jungs fallen unter das normale Strafrecht für Erwachsene. Bei jedem Einbruch haben sie mehrere tausend Mark erbeutet. Einiges davon ging in die Automaten ihres Dauertreffs, einer Spielothek. Am ersten Verfahrenstag wurde einer der mutmaßlichen Täter bereits freigesprochen. Er war nur mal als Fahrer für die übrigen Jungs eingesprungen. Inzwischen arbeitet er bei der Post und hat dem Spielen abgeschworen. Die Richterin Hilka Robrecht verdonnert ihn zu einem Bußgeld: 400 Mark monatlich muß er dem Lüssumer Turnverein, Referat Integrationshilfe zukommen lassen.

Die Frage, ob es ein Boss der Bande gibt, beschäftigt das Gericht. Doch nur Murat scheint Salih als „Bestimmer“ zu verstehen. Die anderen sahen es nicht so, obgleich Salih „quasi auf das Geld aufpaßte“, wie sie bestätigen. Aber die Firmen, in denen eingebrochen wurde, wurden mal von dem einen, mal von dem anderen ausgesucht. Die Flex kam immer ins Einbrecherwerkzeug mit. Selbst Tresore mit eingebauten Betonschutz war für die Jungs keine Schwierigkeit, der Beton wurde einfach mit einem Vorschlaghammer kleingeschlagen. Alarmanlagen wurden entschärft, und Telefonanlagen lahmgelegt.

Beim dritten Verhandlungstag hört sich das Gericht den traurigen Lebensweg von Michael an. Als Kind geschlagen, mit der Mutter ins Frauenhaus geflüchtet, und dann selber in eine katastrophalen Beziehung reingeglitten. Irgendwann kam er nicht mehr klar und nahm Drogen. In dieser Zeit machte er bei vier Einbrüchen der Bande mit. Heute ist er Clean, erst der neunzehnte Entzug klappte. Der Mann von der Jugendgerichtshilfe plädiert für Freispruch, weil man Michael positiv bestärken müsse: „Es ist eine bemerkenswerte Situation, daß er nach so schwerer Sucht mit Hilfe von sozialen Kontakten da rauszukommen.“ Seine Ersatzfamilie in Berlin kümmerte sich um ihn. Auch Michaels Verteidigerin plädiert für Einstellung des Verfahrens. Die Richterin verhängte eine Jugendstrafe, die ein Jahr zu Bewährung ausgesetzt wird. „Um feststellen zu können, ob schädliche Neigungen zu vermeiden sind, denn das kann man nach so kurzer Zeit aus der Drogenabhängikeit heraus nicht sagen.“ „Schädliche Neigungen“ ist Jura- Sprache und steht im § 27 des JGG.

Die Verhandlungen gehen für fünf Jungs weiter. Die Stimmung ist mißmutig, wer wann mit welcher Flex die Tresore knackte, darüber wird noch ausdrücklich debattiert werden müssen.

Vivianne Agena