Rock'n'Roll Suzi heizt den Uni-See auf

■ Für 50 Mark gab's Samstag die Hits, die vor 20 Jahren für 50 Pfennig aus der Musikbox kamen

Die Arme verschränkt und mit den Wimpern geklimpert - wie in der Uralt-Fernsehserie „Bezaubernde Jeannie“. Und schon haben wir uns an einen anderen Ort und in eine andere Zeit gezaubert. Wir landen in den goldenen sechzigern und siebzigern - Oldie-Nacht, Saturday-Night-Fieber am Bremer Unisee. Auch Horst (53) aus Schwachhausen - seit Jahrzehnten kein Open-air-Gänger mehr - ist gekommen, mit seriöser Goldrandbrille, Trenchcoat, Schirm und Frau mit Perlensteckern. Sein Ziel: Nostalgie.

Mit Genugtung stellt er fest: Die guten, alten Songs der ganz Großen wie Gerry & The Pacemakers aus Liverpool und den Equals sind die gleichen geblieben. Nur die Fans scheinen an dieser Sommernacht gealtert. Statt Schlaghose und Plateauschuh: Jeans und Wildledertreter. Statt Samtjäckchen: Gore- Tex-Jacke und Regenschirm (obwohl der Himmel über Bremen bis zum Feuerwerk um halb zwei tapfer durchhielt). Statt langer Mähnen: Föhnfrisur und graumelierte Schläfen. Statt Flower-Power-Gehopse: Campingstühle.

Dazu neben den üblichen Freßbuden auch etwas nach Horst M.s Gschmack: Neben einem Bremer Feinkostverpfleger mit bewachter Freiluft-VIP-Lounge gibt's einen Stand mit Schampus, Sekt und Pfirsichbowle - und ganz wichtig: einen Biergarten mit Bänken zum Ausspannen. Denn welche Knochen überstehen noch unbeschadet acht Stunden Stehen, Klatschen, Mitsingen?

Nachdem Peter Sarstedt, Beatles Revival Band und Mushroams die rund 10.000 Fans auf der grünen Wiese aufgewärmt haben, legen Suzi Quatro, heute 43, und Band mit der 50.000 Wattanlage richtig los. Da rockt sie wieder bzw. immer noch, die 1,50 Meter kleine große Blondine, die weltweit über 40 Millionen Singles und LPs verkauft hat. Der Leder-Mini keinen Zentimeter zu lang, den Baß über den Kopf gerissen, mit der Stieflette ins Publikum getreten, sie bringt's einfach voll: „Can the can“. Dänische Fans pfeifen, zücken Pocketkameras und entrollen ein Transparent: „We love you“. Heidemarie (42), dauergewellt, gut drauf und mit ihrer Tochter hier, twistet in der Warteschlange vorm Dixi- Miet-WC, was das Zeug hält. „Das ist Musik, die ich mein ganzes Leben lang lieben werde, im Gegensatz zu den Schlagern, die Sie heute in der Deutschen Welle hören. Gern hätte sie - stilecht - die Klamotten von früher aus dem Schrank geholt und übergezogen. Doch: „Dafür bin ich zu fett.“

Als der 52jährige Reggae-Star Desmond Dekker aus Jamaika mit den Aces um Mitternacht jungenhaft-geschmeidig über die Bühne turnt, die Hüften kreist und den Silbergürtel im Scheinwerferlicht aufblitzen läßt, gehen die Fans aus sich raus. Feuerzeuge werden angeknipst, Neonstäbe über den Köpfen geschwungen, Leute tanzen auf den Tischen, Bierbecher kippen. War's so nicht einst auch auf Fehmarn? Neid auf soviel Gelenkigkeit und Rhythmik. „I want everybody to move“, ruft Desmond, und Ulla (42) erinnert sich, wie sie vor 25 Jahren in einer Kneipe am Bremer Hexenberg seine Karibik-Hits mit 50 Pfennigen aus einer Musikbox hervorgezaubert hat. Christel G. bereut die 49 DM Eintritt nicht: „Ich bin 51, und für mich ist es wirklich ein Ereignis.“ Und der Herr im Regenmantel leiht sich vom Nachbarn das Opernglas, um zufrieden festzustellen: „Der ist auch älter geworden.“

Spät in der Nacht weckt Soft-Sänger Chris Norman von der Schmusetruppe Smokie mit „Living next door to Alice“ bei einem Trenchcoat Erinnerungen. Müde, aber zufrieden geht er diesen Sonntag morgen zu Bett. Für ein paar Stunden ist er wieder jung gewesen. Sabine Komm