Die Quadratur des Balles

■ Anmerkungen zum Fernsehfußball anläßlich des 30. Jubiläums des „ZDF-Sportstudios“ (22.20 Uhr)

Hüten sollte man sich bekanntlich vor der Verbreitung jenes unreflektierten Gemeinplatzes, daß früher alles viel besser gewesen sei. War es in der Regel nicht. Sicher ist jedenfalls, daß damals, an jenem 24. August 1963, als alles seinen Anfang nahm, die Bundesliga auf Drängen Sepp Herbergers und nicht zuletzt deshalb gestartet ward, um durch eine Konzentration der besten Spieler und Vereine dem deutschen Fußball nach der WM-Enttäuschung von Chile zu Weltformat zurückzuverhelfen. Daß exakt an diesem Samstag vor 30 Jahren auch zum allerersten Mal im ZDF „Das aktuelle Sport- Studio“ ausgestrahlt wurde, war kein Zufall, doch wurde die Sendung für die Liga gegründet. Nicht umgekehrt.

Auch die gute alte „Sportschau“ hat sich keine Vorwürfe zu machen, den Fußball mißbraucht zu haben: Ernst Huberty und Kollegen brauchten bis zum April 1965, ehe sie auf den Dreh mit der Bundesligaberichterstattung in jener Samstagssendung kamen, die dann zum Synonym für die mediale Verwertung deutschen Gekickes wurde.

Den Verdacht, „Die Sportschau“ sei einst eine gutgemachte Sendung gewesen, gilt es allerdings zu entkräften: Sie war reine Gewohnheit, war Ritual, das sich durch bloße Wiederholung legitimierte. Immerhin: Die buchhalternd-einschläfernden Reporter waren zwar gute Bekannte, aber keine Stars, und sie standen bei aller Begeisterung noch erkennbar außerhalb der weißen Linien. Gespielt wurde damals nämlich noch auf dem Platz. Heute, befindet Manfred Kaltz, mit 581 Spielen für den HSV ein Bundesligafossil, „fängt das wahre Dribbling auf dem Weg in die Kabine an“. Und das richtige Spiel wird in den Katakomben der Stadien und den Studios gespielt, wo naßforsche Jüngelchen auf die immer gleichblöden Fragen („Woran lag's?“) ebensolche Fußballerantworten („Ja gut“) erhalten.

Doch will einer, wie der Freiburger Student Uwe Spies, nicht mitspielen und weigert sich, die flotten Jungs von Sat.1 „ran“ zu lassen und rein in sein Wohnzimmer, lassen die ihm über seinen Präsidenten ausrichten, er möge sich klarmachen, wer eigentlich sein Gehalt bezahle.

1963 gab es vom Fernsehen 10.000 Mark pro Verein, das entsprach etwa einem Hundertstel der Zuschauereinnahmen. Heute bekommt jeder Bundesligist 4,1 Millionen Grundbetrag pro Saison von der Sportrechteverwertungsgesellschaft ISPR, die die Bundesliga bis 1997 für insgesamt 650 Millionen Mark eingekauft hat (und an die Anstalten weiterverscherbelt). Die zahlenden Fans braucht ein halbwegs erfolgreicher Club demnächst nur noch als gutgelaunte Staffage für eine TV-Übertragung.

Wodurch die Abhängigkeit vom Dealer Fernsehen immens wird. Und immer größer. Irgendwann kann man nur noch hoffen, daß der nicht einmal Schluß sagt. Das tut er nicht, solange die Einschaltquoten stimmen. Und damit die stimmen, heißt es brav mitzumachen, wenn die „ran“-Männer um ihren Spielführer Reinhold Beckmann (und im Schlepptau alle anderen Sender) den Fußball zur „Sitcom“ ummodeln, in der alle zehn Sekunden gestaunt und gelacht werden kann. Banalisierung ist das Zauberwort, „dranbleiben“ muß der Fernsehsportler, neuerdings auch sonntags, bald schon rund um die Uhr – und oh Wunder, selbst bei einem doch bereits reichlich banal daherkommenden Stoff, es funktioniert!

Stopp müßte der Fußball sagen. Doch die Kräfte, die das Gute wollen, doch nur das Böse schaffen, sind entweder noch treudoofe Fan- Funktionäre oder hart kalkulierende Marketing-Experten, wie der Stuttgarter Manager Dieter Hoeneß einer sein möchte. Gar nicht genug, erzählt der bei jeder Gelegenheit, könne man über seinen VfB berichten. Fernsehpräsenz erhöhe das Interesse. Was stimmt. Nur eben nicht jenes an einem Sport namens Fußball, sondern das an einer Seifenoper namens Bundesliga, in der die Grenzen zwischen denen, die berichten, und jenen, über die berichtet wird, längst fließend sind. Leute wie der dauerrednende Daum, der tumb- verschmitzte Töpperwien, der heuchlerische Hansch, der schlitzäugige Stepanovic wissen, wie der Hase läuft. Und verdienen an allen Fronten. Andere wie der Stuttgarter Torschützenkönig Fritz Walter („Also isch, äh“) sind eine mediale Zumutung und finden sich am Ende auf der Ersatzbank wieder. Neue Spieler werden, bevor der Vertrag denn unterzeichnet wird, demnächst nicht mehr von Dr.Müller-Wohlfarth auf Herz und Knie getestet, sondern von Wontorra auf Schlagfertigkeit und Sympathiewert.

Was „uns Uwe“ zu der ganzen Malaise meint? Die Kommerzialisierung sei zwar fortgeschritten, befindet Uwe Seeler, das Idol der ersten Stunde, der Fußball aber werde Bestand haben, „in den nächsten fünfzig, ja hundert Jahren – immer!“ Das mag so sein, nur wie wird er dann aussehen? „Das eigentliche Spiel“, sagt Günter Netzer, „darf nicht durch Regeländerungen und Werbeunterbrechungen verfälscht werden.“ Doch genau das wird kommen. Und mehr: Die hehren Freunde des Fußballsports scheinen immer noch dem Irrglauben nachzuhängen, der Ball sei und bleibe trotz allem nach wie vor rund. Dabei ist der schon längst viereckig. Peter Unfried