■ Hauptabnehmer von Teppichen vom „Dach der Welt“ ist die Bundesrepublik Deutschland
: 150.000 Kindersklaven in Nepals Teppichindustrie

Katmandu (taz) – Seit über zwei Jahren arbeitet Mainya Tamang in einer Teppichfabrik in Cahabil, einem schäbigen Vorort Katmandus, der Hauptstadt des Himalaja- Königreiches Nepal. Vierzehn bis siebzehn Stunden täglich sitzt sie vor ihrem Webstuhl, sieben Tage die Woche. Es ist stickig, die Luft ist voller Wollstaub. Mainya hustet ständig. Ihre Hände haben tiefe Schnittwunden, kaum verheilt. Sie arbeitet hastig, sieht sich immer wieder nach dem Aufseher um, der sie mit einem Fahrradschlauch schlägt, wenn sie das Pensum nicht schafft. Mainya ist knapp fünf Jahre alt.

Rund 150.000 Kinder unter 16 Jahren teilen Mainyas Schicksal: Sie sind Sklavenarbeiter in Nepals Teppichindustrie. Die schiere Not unter der ländlichen Bevölkerung zwingt viele Eltern, ihre Kinder in die Fabriken zu verkaufen. Ausgebeutet bis zum Exzeß, verdienen sie dort freilich gerade so viel, wie ihnen für Schlafplatz und Verpflegung – einen Teller Reis mit Linsen pro Tag – wieder abgeknöpft wird.

Die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Fabriken führen durchgängig zu schweren Wachstums- und Gesundheitsstörungen bei den Kindern. Viele haben Augenprobleme, leiden unter ständigen Kopfschmerzen, nicht selten auch unter Arthritis und Wirbelsäulenverkrümmungen. Infolge der mangelhaften Ernährung sind viele Kinder schwer anämisch, durch den Wollstaub ziehen sie sich oft irreparable Lungenschäden zu. Die harte Arbeit ohne irgendwelche Erholungspausen macht sie anfällig für Gelbsucht und Typhus. Wer nicht mehr arbeiten kann, wird einfach auf die Straße geworfen.

Die zahllosen Teppichfabriken Nepals gelten auch als billige Nachschublager für die Bordelle in Kalkutta, Neu-Delhi und Bombay. Zu Tausenden werden die Mädchen in die Prostitution weiterverkauft, oft schon im Alter von sieben oder acht Jahren. Auch innerhalb der Fabriken sind sie ständigen sexuellen Übergriffen durch Aufseher und Vorarbeiter ausgesetzt. Gegenwehr oder Flucht ist unmöglich: Die Kinder sind völlig von der Außenwelt abgeschnitten, sie werden innerhalb der Fabrikmauern wie in einem Konzentrationslager gefangengehalten.

Entgegen vielfach kolportierter Behauptung hat Teppichknüpfen keine Tradition in Nepal. Es wurde erst vor rund 30 Jahren durch das Internationale Rote Kreuz sowie Schweizer und niederländische Entwicklungshelfer ins Land gebracht in der vorgeblichen Absicht, eine häusliche Erwerbsquelle für die tibetischen Flüchtlinge zu schaffen, die 1959 vor den Chinesen nach Nepal geflohen waren. Inzwischen haben sich handgeknüpfte Teppiche zum bedeutendsten Handelsprodukt Nepals entwickelt: Über zwei Millionen Quadratmeter werden alljährlich exportiert – ein Zigmillionen-Geschäft mit Blut, Schweiß und Tränen der Kinder des Landes. Hauptabnehmer ist die Bundesrepublik Deutschland, wo Nepal-Teppiche seit jeher als Verkaufsschlager gelten. Ein Teppich vom „Dach der Welt“ kostet in der Größe von 250 * 350 Zentimetern rund 5.000 Mark. Ein Kind hat daran etwa acht bis zehn Wochen gearbeitet und dafür vielleicht 600 Rupien erhalten, knapp 20 Mark. Wohin der Profit geht, läßt sich unschwer erahnen.

In den meisten Ländern der „Dritten Welt“ ist Kinderarbeit offiziell verboten. So auch in Nepal, das 1990 der „United-Nations-Erklärung der Rechte des Kindes“ beigetreten ist: „Jedes Kind wird vor Vernachlässigung, Grausamkeit und Ausnutzung aller Art geschützt. Niemand soll in Knechtschaft gehalten werden.“ Die Teppichbarone rund um Katmandu freilich schert dieses Verbot ebensowenig wie die West-Importeure und Händler. Der Kunde selbst, so ein Teppichgroßhändler in Frankfurt, wolle so etwas auch nicht wissen. Unabhängig davon, daß die Berichte über Kinderarbeit in Asien ohnehin heillos übertrieben seien.

Die deutsche Honorarkonsulin für Nepal, Ann-Katrin Bauknecht, im Zivilberuf Teppichdesignerin (sic!) aus Stuttgart, schlägt in dieselbe Kerbe: „Von Kinderhand geknüpfte Teppiche werden von deutschen Importeuren ganz bestimmt zurückgewiesen. Aber ich glaube ohnehin nicht, daß in der nepalischen Teppichindustrie so viele Kinder tätig sind. Möglicherweise ist das eine oder andere Kind in der Fabrik mit dabei, um von den dort arbeitenden Eltern das Knüpfhandwerk zu erlernen; die meisten dieser Kinder sind aber nicht selbst als Arbeiter beschäftigt.“ – Der nepalische Kinderschutzbund CWIN (Child Workers in Nepal), der vor drei Jahren in Katmandu ein Haus und eine Schule für Straßenkinder eingerichtet hat, hält solche Statements für schieren Zynismus. Bijaya Sainju, einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter von CWIN: „Die Teppichindustrie ist ein Moloch, der unsere Kinder lebendigen Leibes verschlingt.“ Nur ein konsequenter Boykott von Teppichen, die von Kinderhänden geknüpft wurden – und das sind nahezu sämtliche Teppiche, die in Nepal hergestellt werden –, könne Druck auf die Regierung seines Landes ausüben, in den Fabriken vor Ort etwas zu ändern.

Und es muß sich bald etwas ändern. Mainya kann nicht mehr lange warten. Inzwischen hustet sie Blut. Colin Goldner