Bankwürmer unter uns

■ Animiertes Design von Martin Woltermann in der Securitas-Galerie

Heute schon den Küchenstuhl gestreichelt? Oder die Lampe? Nein? Das muß am Design liegen: funktional, aber leblos. Jede Wette: Das sind keine Woltermann-Entwürfe.

Martin Woltermann nämlich ist ein ausgezeichneter Industrie-Designer, im wahrsten Sinne. Und leidenschaftlich für's Lebendige, ein Animist von Mensch und Möbel. Er macht, daß sich Stuhlreihen wie Bankwürmer Glied für Glied hungrig durchs Gemäuer fressen und daß sich Lampen in Schlangennestern ringeln. Nicht verspielt in schnörkeligen Linien allerdings, sondern klar im Umriss, glatt, aus Holz, Metall und Glas, und hintersinnig in der Form. Wer da nicht lacht, wem da nicht gruselt, der ist wohl schwer zu animieren.

Erst vor kurzem wurden seine Möbelgestalten aus dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe befreit. Und nun bevölkern sie, als lebendige Beweise sinnlichen und doch funktionellen Büro-Designs, die Lichthof-Galerie der Sekuritas-Versicherung am Wall. Tischböcke mit fetten Schenkeln und mit Fesseln wie Antilopen springen durch die Rabatten und verschafften sich Aufmerksamkeit. Auch ohne geräuschvolle Videoinstallation wäre es schwer, achtlos an ihnen vorbei zu gehen.

Doch achtlos war am Dienstag abend niemand, als die Ausstellung „Ungewohnte Geschöpfe“ eröffnet wurde, ganz im Gegenteil. Getreu dem Maßstab: Design muß praktisch sein, legte mancher Besucher bei den eigentümlichen Objekten selbst Hand an. Da wurde an den hell-hölzernen Lehnenflügelchen des Lindbankwurms gerüttelt und an den schwarzmetallenen Beinchen gefingert — ob sie wohl halten. Und wer, trotz bestandenem Funktionstest noch immer zweifelte, tat's leise. Als könnte, wer weiß, das Tierchen gekränkt nach dem Kritiker treten, wenn es mitanhören muß, daß der „dieser Sache“ nicht so recht traut - von wegen Sache.

Der Künstler erwartet diese Wirkung der Dinge auf die Menschen und verstärkt sie noch: Rund um den Raum, auf Papier, laufen Entwürfe wie Comics, farbig und mit schriftlichen Assoziationen versehen. Viel weniger dezent als die Ausstellungsstücke im Raum kommt er da zum Vorschein — der Exhibitionist. Ein Lampenentwurf, der den Morgenmantel- Schirm leise öffnet — darunter wird's schon strahlen. Oder ein „Gorilla“, der sich, ein geborener Hocker, gleich neben dem „Kleinen Gespenst“ tummelt, einer witzigen Sesselidee, die als wahrhaftiges Ausstellungsstück tagsüber leider nicht zu sehen ist.

Wer kann jedoch schon beschwören, daß das kleine Gespenst nicht doch über Nacht aus dem Bild klettert und ein wenig über der Sitzgruppe „Bankverbindung“ geistert. Aber die wird ja versichert sein. Eva Rhode

„Ungewohnte Geschöpfe", Mo.-Fr. von 8 bis 18 Uhr, Securitas-Haus am Wall 121, bis zum 24. Oktober