Fünf Minuten Redezeit für die NOlympics

■ Ist das Colloquium nur ein Werbeprogramm für Intellektuelle?

Am Freitag abend kotzte der Bär: Als im Martin-Gropius-Bau die Diskussion über „Berlin 2000 und die Olympischen Spiele von 1936“ beginnen sollte, besetzten zehn Olympia-GegnerInnen das Podium. Vor den Augen der etwa 120 ZuhörerInnen entrollten sie ein Transparent: „Berlin Nolympic City“ war darauf zu lesen; zwei gemalte Bären entleerten sich auf vielerlei Weise über die fünf Olympischen Ringe. Der Polizei„schutz“ für die Veranstaltung (zeitweise standen bis zu zehn „Wannen“ rund um das Gebäude) war mit der Mini-Aktion unterlaufen worden.

Eine Anti-Olympionikin griff sich ein Mikrofon und forderte fünf Minuten Redezeit, die ihr auch gewährt wurden. Ihre KollegInnen verteilten Flugblätter. Grund ihres Unmuts: Die Podiumsdiskussion und das vorausgegangene eintägige wissenschaftliche Colloquium der Stiftung Topographie des Terrors seien nichts anderes als „eine verkappte Werbeveranstaltung für Olympia 2000“. Die „saubere Aufarbeitung“ der Geschichte solle bloß ein weiteres Argument für Olympia sein. „Der letzte störende Faktor Vergangenheit soll weg.“ Wo die Bäcker gelbe Olympia-Brötchentüten unter die Leute brächten, Polizeiautos und BVG-Busse mit Olympiastickern durch die Straßen kurvten und Karstadt eine Marzipantorte für Olympia backe, da seien das Colloquium und die Diskussion eben „das Programm für Intellektuelle“.

Bestätigt fühlten sie sich, so die Anti-Olympioniken in ihrem Flugblatt, durch die Einladung der Stiftung Topographie des Terrors zu der von der Olympia GmbH und der Kulturverwaltung finanzierten Veranstaltung. Darin hieß es: „Die historische Aufarbeitung der ,Spiele unter dem Hakenkreuz‘ ist eine notwendige Voraussetzung für eine erneute Durchführung der Olympischen Spiele in Berlin, wie sie für das Jahr 2000 beantragt ist.“ Die Stiftung Topographie des Terrors, so die KritikerInnen, habe sich die „Distanz“ zur Olympia- 2000-Bewerbung „abkaufen“ lassen.

Nach nicht ganz zehn Minuten verließen die Nolympier wieder den Saal. Begründung für den schnellen Abgang: Man habe die Veranstaltung absichtlich nicht vollständig gesprengt, damit sich niemand mit „Scheinempörung über die Form eines derartigen Vorgehens über unsere grundsätzliche Kritik billig hinwegsetzen“ könne. „Diesen Gefallen tun wir euch nicht.“

Auch wenn sich kein einziger gelber Grinsebär in den Martin- Gropius-Bau verirrt hatte, auch wenn das Colloquium hochkarätig mit Sporthistorikern besetzt war und kontrovers diskutiert wurde, blieb das Unbehagen der Anti- Olympia-Aktivisten letztlich verständlich. Denn in den drei Jahren der Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele im Jahr 2000 ist ein offensiver und kritischer Umgang mit den Berliner Nazi- Spielen von 1936 weitestgehend unterbunden worden. Erst 14 Tage vor der Entscheidung des IOC über die Vergabe der Spiele kam es zu eben diesem wissenschaftlichen Colloquium, das eine 36er- Ausstellung im Jahre 1996 (!) vorbereiten soll. Selbst der sozialdemokratische Sportpolitiker Hans- Joachim Teichler sprach am Rande des Colloquiums und hinter vorgehaltener Hand von einer „Alibiveranstaltung“.

Dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK), dem Berliner Senat und der Bewerbergesellschaft, der Olympia 2000 Berlin GmbH, ist es seit 1990 gelungen, einen schon in der Frühphase der Bewerbung geplanten großen internationalen Kongreß zum Thema zu verhindern. Innerhalb der Bewerbungsphase sollten keine Schatten auf „die nationale Aufgabe Olympia“ (Helmut Kohl) fallen.

Als der Sportstaatssekretär der früheren rot-grünen Stadtregierung, Hans-Jürgen Kuhn (AL), auf einer solchen Veranstaltung insistierte, wurde er auf Betreiben des damaligen NOK-Chefs Willi Daume kaltgestellt. Olympia wurde zur Bürgermeister-„Chefsache“ erklärt. Gegen den 36er-Kongreß setzte sich erfolgreich auch der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein. In einem Brief an den damaligen Regierenden Bürgermeister Momper schrieb er, daß das von Kuhn beabsichtigte Symposium eine „förderliche Aufarbeitung“ des angekündigten Themas nicht erwarten lasse.

Welche Geisteshaltung in Sachen 1936 bei den Protagonisten der „Jahrtausendspiele“ vorherrscht, beweisen auch vielfältige Äußerungen des Geschäftsführers der Olympia GmbH, Axel Nawrocki. Der taz sagte Nawrocki zur Frage eines 36er-Kongresses, daß er nicht glaube, „daß wir mit einem Kongreß eine solche zentrale historische Frage aufarbeiten können“. Und weiter: „Wir haben sehr viele Kongresse über diese Fragen gehabt, wir haben große internationale jüdische Organisationen, die seit vierzig Jahren nichts anderes tun, als dieses Unrechtssystem aufzuarbeiten.“

Gegenüber dem Tagesspiegel meinte er, daß „eine bewußte Ecke, die die Spiele nicht haben will, dies damit begründet, 1936 habe es in Berlin schon einmal böse Spiele gegeben. Dies halte ich für unzulässig und auch für historisch falsch. Es waren keine bösen Spiele.“ Logisch, daß so einer im Fernsehen auch von „phantastischen Negerchören“ spricht, die er sich für eine mögliche Eröffnungsfeier im Jahre 2000 wünscht.

Auch der Kulturbeauftragte der Olympia GmbH und Riefenstahl- Experte, Hilmar Hoffmann, setzte keinen großen wissenschaftlichen Kongreß zum Thema 1936 durch. Er initiierte ein Sportfilm-Festival, verteilte Olympiageld in der Kulturszene der Stadt und thematisierte die faschistische Architektur des Olympiageländes, das auch zentraler Austragungsort der zweiten Berliner Spiele sein soll. Doch vielmehr als „Verfremdungs“- Vorschläge für die Übermenschen-Skulpturen rund um das Stadion und viele aufgeblähte Worte ganz im Sinne der Olympiabewerbung kam dabei nicht heraus. „Wie keine andere ist diese Stadt auch das historische Gewissen ihrer Gesellschaft. Berlin zehrt von seiner historischen Aura, einem Pfund, mit dem zu wuchern ist“, teilte Hilmar Hoffmann neulich im Tagesspiegel mit.

Gern spricht der Kulturbeauftragte vom angeblichen „Mißbrauch der Spiele“ und der „friedenstiftenden Kraft“ Olympias. Neue Spiele in Berlin „im kulturgesättigten Ambiente“ böten die „Chance der Revision“, so Hoffmann bei der Diskussion im Gropius-Bau. „Nie wieder Olympia in Berlin, das verwehrt den praktischen Umgang mit Geschichte.“ Daß es vor der IOC-Entscheidung am 23. September doch noch dieses Colloquium gab, ist wohl Hoffmanns Einsicht zu verdanken, daß neben seiner olympiareifen Schönrederei auch etwas Praxis nicht schaden könnte. Er hätte sonst noch nackter dagestanden.

Herausgekommen sei bei seiner Arbeit für die Olympia 2000 GmbH aber auch ein Buch, beruhigte Hoffmann am Freitag die Diskussionsteilnehmer. Natürlich eins von ihm. Erschienen bei Aufbau. Titel: „Mythos Olympia“. kotte