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DDR-Ende – ein Betriebsunfall?

■ KGB soll die Wende initiiert, Krenz dann alles vergeigt haben

Berlin (taz) – Die Wende in der DDR ist durch die Sowjetunion „mitgesteuert, wenn nicht sogar gesteuert worden“. Zu diesem Ergebnis kommt Ralf Georg Reuth, Berliner Korrespondent der FAZ. Zusammen mit dem Studioleiter des Münchner Fernsehmagazins Report, Andreas Bönte, stellte er gestern ihr neues Buch „Das Komplott“ in Berlin vor.

Reuth und Bönte vertreten darin die Auffassung, daß die Wende in der DDR ebenso wie in anderen Staaten des Warschauer Paktes initiiert wurde, weil sich die orthodoxen Kommunisten in Ostberlin, in Rumänien und in Bulgarien den Moskauer Vorgaben von Perestroika und Glasnost verweigert und damit das sowjetische Reformprojekt selbst gefährdet hätten. Die Demontage der DDR- Führung habe mit der Öffnung des Eisernen Vorhanges begonnen, die zwischen Moskau und Budapest abgestimmt worden sei. Die anschließende Flucht Tausender DDR-Bürger in den Westen habe den Druck auf den Partei- und Staatschef Honecker ins Unerträgliche gesteigert. Der anschließende Besuch Gorbatschows zum 40. Jahrestag der DDR sei das Fanal zum Sturz Honeckers gewesen.

Das geplante „Komplott“ gegen die DDR-Staatsführung, so Reuth und Bönte, war mit der Ablösung des Staatschefs zwar erfolgreich – die weitere Entwicklung sei aber aus dem Ruder gelaufen. Ein wesentlicher Faktor dafür sei die eigenmächtige Aktion des Honecker-Nachfolgers Egon Krenz gewesen, die Berliner Mauer ohne Rücksprache mit Moskau zu öffnen. Das Kalkül von Krenz, sich damit an die Spitze der DDR-Reformer stellen zu können, sei allerdings nicht aufgegangen. Honeckers Zögling habe die damit freigesetzte nationale Dynamik vollkommen unterschätzt, die letztlich dann auch Gorbatschow zu einer Änderung seiner Deutschlandpolitik veranlaßte. Am Ende des „gewaltigen Betriebsunfalles“ habe die UdSSR „die DDR an ihren politischen Gegner verkauft“.

Die These von der Einflußnahme der Sowjetunion stützen die Autoren unter anderem auf bislang unbekannte Erkenntnisse der westdeutschen Spionageabwehr. Danach habe es in der Ostberliner Botschaft der Sowjetunion eine bis dato unbekannte KGB-Residentur mit dem Decknamen „Luch“ (russisch für „Strahl“) gegeben, die seit Mitte der 80er Jahre bemüht war, die Perestroika in der DDR voranzutreiben. Nach Angaben der Kölner Verfassungsschutzbehörde aus dem Jahre 1992 soll die Aufgabe der geheimen Residentur gewesen sein, „Bürger der ehemaligen DDR in Leitungsfunktionen von Wissenschaft, Technik und Politik zur Zusammenarbeit mit dem KGB zu verpflichten, um auf diese Weise gesellschaftlich relevante Prozesse beeinflussen zu können“. Die Existenz von „Luch“ ist inzwischen vom Bonner Geheimdienstkoordinator, Bernd Schmidbauer, bestätigt worden. Wolfgang Gast

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