: Kein grundlegender Kurswechsel in Sicht
■ Der Streit um Sparprioritäten, Großprojekte, Privatisierungspläne, die Verkehrspolitik und die Reformen in Verwaltung und Politik wird die nächste Hamburger Legislaturperiode prägen Von Florian Marten
Morgen entscheidet der Hamburger Souverän, die BundespersonalausweisinhaberInnen ab 18, welche politische Segnungen ihre Vertretung in den kommenden vier Jahren für sie bereit hält. Den WählerInnen fällt es angesichts der flockigen Wolkentürme der Wahlaussagen diesmal noch schwerer als sonst, die Polit-Konturen der verschiedenen Regierungskonstellationen zu identifizieren. Die Polit-Insider im Rathaus sehen schon erheblich klarer. Die taz hat ihnen auf die Finger und in die Schubladen geschaut.
Polithit sind die maroden Stadtstaatsfinanzen. Spätestens ab 1995 stehen dramatische Einsparzwänge ins Haus. Ein wirkliches Sanierungskonzept besitzt keine der Altparteien. Erstmals ist aber, auch bei SPD und GAL, das Tabu der Privatisierung gefallen. Entschlackung und Verschlankung des Staatsapparates sind angesagt. Während CDU und FDP lukrative und einträgliche Teile der Stadt (HEW, Landesbank) an reiche Private verschleudern wollen, will sich die SPD durch Teilverkäufe staatlichen Besitzes Luft für Investitionen verschaffen.
So soll der Verkauf von Teilen des Hafengiganten HHLA die eigentlich unbezahlbare Hafenerweiterung in Altenwerder ermöglichen. Einige SPD-Verkehrsexperten wollen die Landesbank für den Ausbau des ÖPNV schlachten. Auch SPD-Vormann Voscherau will mit privater Vorfinanzierung (Beispiel Elbtunnel: Banken finanzieren, Staat haftet) und der Freigabe städtischen Bodens (Speicherstadt, Teile des Hafens) Spielraum für eine wirtschaftspolitische Offensive schaffen.
Anders die GAL: Staatsvermögen und Verwaltungseinheiten sollen nicht an Private verschleudert, aber dezentraler und effizienter organisiert sowie mit Selbstverwaltungselementen ausgestattet werden. Dazu gehören auch privatwirtschaftliche Organisationsformen. Die Kernprobleme der Hamburger Staatsverschuldung - Schuldenberg, Zinsenlast, mangelnder Spielraum für eigene Einnahmen, Sozialhilfeautomatik - werden damit allerdings nicht angetastet. Jede denkbare Regierungskonstellation wird sich ab 1995 in einer chaotischen Spardiskussion verstricken.
Eng verknüpft mit Privatisierungsplänen und Haushaltslöchern sind die wirtschaftspolitischen Ziele der Parteien: Hafenerweiterung, Elbtunnel, Elbvertiefung und eine ganze Reihe von Autobahnprojekten gehören für CDUSPDFDP zum absoluten Muß der Standortpolitik. SPD & Co wissen, daß weder Bonn noch Hamburg all diese Projekte bezahlen können. Um wenigstens einen Teil dieser Pläne voranzutreiben, werden diese Parteien Geld umschichten, sprich in anderen Bereichen umso brutaler sparen.
Der Spielraum für ökologische Reparaturen und den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs ist damit klitzeklein. Insbesondere der Verkehrspolitik droht der finanzielle Kollaps: Die Bahnreform, die Übernahme der S-Bahn, die überfällige Einführung der Stadtbahn und eine grundlegende Tarifreform erfordern gewaltige Mittel. Ohne eine regionale Verkehrssteuer, Zuschüsse von Bonn und eine grundlegende Reform des HVV ist ein verkehrspolitisches Umsteuern wohl kaum machbar. Zwar würde ein Regierungspartner GAL Verkehrspolitik ganz vorn in seinen Prioritäten-Charts plazieren – von den heißen Eisen HVV-Reform und Nahverkehrsabgabe würde sie jedoch spätestens die SPD abhalten.
In den Bereichen Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik setzen alle Parteien bestenfalls auf die Verteidigung alter Standards – in dem Wissen, daß sie nicht gehalten werden können. Grüne Vordenker wie Helmut Hildebrandt haben zwar Konzepte in Kopf und Schublade, wie soziale Dienstleistung moderner, effizienter und – bei gleichem Mitteleinsatz – erheblich wirksamer durchgeführt werden könnte, in allen denkbaren Koalitionen wird die SPD dieses Politfeld jedoch in gewohnter Manier behalten. „Weiter so“ mit schrumpfenden Etats ist angesagt.
Wohnungen wollen alle bauen. FDP-Chef und Immobilienfürst Robert Vogel weiß, wie das am besten funktioniert: Bauland, Zuschüsse und Baugenehmigungen her, dann flutscht es. Auch die CDU fände das prima und empfiehlt, Mieter sollten ihre Wohnungen kaufen. Bei der SPD hat die Wohnungsmafia ein sympathischeres Aussehen: Der Filz in Saga und Wohnungsunternehmen kämpft für den Erhalt seiner Arbeitsplätze. Nicht unbedingt zum Schaden der Mieter. Die GAL dagegen will Mietergenossenschaften fördern.
Kultur- und Wissenschaftspolitik sind in Hamburg bei allen Parteien unterbelichtet. Hamburg wird hier an seinem Substandard festhalten. Justiz und Polizei sind, egal, ob bei SPD und/oder CDU, in fester Hand. Es wird mehr Geld fließen und mehr Stellen geben. Recht unübersichtlich ist die Lage in der Ökologiepolitik. Der FDP ist sie eh egal – die CDU würde mit ihrem fähigen Senatskandidaten Salchow für eine Politik auf Vahrenholt-Niveau gut sein. Die GAL weiß noch nicht so recht, ob sie im Koalitionsfall wirklich nach dieser Falle streben soll: Würde sie Müll, Energie, Landschaft, Altflächen und Industrieüberwachung wirklich konsequent in den Griff bekommen? Wo ist Hamburgs Joschka Fischer?
Einige GAL-VordenkerInnen stricken allerdings an einer grünen Ressort-Troika von Verkehr, Umwelt und Stadtentwicklung, gedacht als aktionsfähige Bastion zur Umgestaltung der Stadt. Eine Horrorvorstellung nicht nur für Stadtchef Henning Voscherau, der schon bei grüner Verkehrspolitik wütende Autofahrer, erzürnte Depechen der Handelskammer und künftige Wahlergebnisse á la Kassel auf sich zukommen sieht. Verkehrte Welt auch in Sachen Demokratie, Parlaments- und Verwaltungsreform: Die SPD setzt weiter auf Zentralismus (mehr Rechte für den Stadtchef, vom Senat eingesetzte Bezirkschefs), CDU, FDP und GAL fordern mehr Bezirks-Demokratie.
Insgesamt zeigen sich leichte Varianten in der Wohnungs-, Privatisierungs- und Sparpolitik zwischen CDU, FDP und SPD, die sich aber sonst durch große Übereinstimmung auszeichen. Die GAL strebt – realistisch – einzelne Tupfer von Erneuerung und Modernisierung an, die sie einem Koalitionsspartner SPD wird hart abringen müssen. Der größte Gegensatz liegt wohl in der Haltung zu den Großprojekten: Allein die GAL und die Ebbe in den Staatskassen halten hier dagegen. Ein grundlegender Kurswechsel aber, egal in welche Richtung, ist nicht in Sicht.
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