Gegen den Strom komponieren

■ Günter Bialas und die Uraufführung seines Cellokonzertes mit der Kammerphilharmonie

Donnernder Applaus in der vollbesetzten Glocke. Dirigent, Solist und Komponist verbeugen sich immer wieder — eine Uraufführung zeitgenössischer Musik findet selten so viel Beifall wie das Konzert für Cello und Orchester, das Günter Bialas für Heinrich Schiff und die Kammerphilharmonie Bremen komponiert hatte. Nicht alle waren begeistert: „So viel Neues war das aber nicht“, setzte eine an Avantgardemusik gewöhnte Hörerin dagegen.

Mit dem Applaus wurde auch der Komponist geehrt: Bialas ist, wie er selber sagt, „einer der ältesten aktiven Komponisten“; trotz seiner 86 Jahre fühle er sich durchaus in der Lage, „mich an dem, was diese Zeit ausmacht, zu beteiligen.“ Das Cellokonzert ist denn auch kein sentimentaler Rückblick eines alten Mannes, sondern ein Werk mit eigener Tonsprache.

Das Leben des Komponisten ist eng mit Berlin verbunden

Günter Bialas' musikalische Biographie ist mit der Jugendbewegung der 20er Jahre ebenso wie mit dem kulturellen Brennpunkt Berlin verbunden, wo er von 1927 bis 1933 studiert: Und weil er als Schulmusikstudent keinen Kompositionsunterricht bekommt, besucht er alle Uraufführungen von Strawinsky und Hindemith, erlebt die Premiere der Dreigroschenoper, ist fasziniert von einem Klavierabend von Bartok. 1933 ist alles vorbei: „Alles, was bis dahin für mich gut und teuer war, das war plötzlich verboten oder als 'entartet' geächtet. Bialas geht nach dem Staatsexamen weder in die äußere oder innere Emigration: „Aber wenn man jung ist — man komponiert halt doch.“ Er wurschtelt sich alsomusikalisch durch: ein paar Aufführungen in Breslau und Berlin, dann 1940 die Einberufung in Hitlers Armee — bis zum Kriegsende entsteht nichts Neues mehr.

Nach dem Krieg die bange Frage: „Bin ich überhaupt noch ein Komponist?“ Es folgt harte Arbeit: Bialas beginnt mit 40 Jahren seine Komponistenlaufbahn neu. Er entwickelt einen eigenen Stil, der aber in den Augen der damaligen Avantgarde noch viel zu tonal ist. Er macht trotzdem weiter und wird heute, wo die serielle Musik mit ihren mathematischen Kompositionen kein Thema mehr und viel von Neuer Einfachheit die Rede ist, wieder mehr aufgeführt. Bialas möchte nach wie vor Musik schreiben, die nachvollziehbar und damit erlebbar ist — darum hat er sich auch in der Zeit der seriellen Avantgarde nicht um deren Tabus gekümmert.

Auch in seinem Cellokonzert ist Günter Bialas sich treu geblieben. Im Zusammenspiel des Cellovirtuosen Heinrich Schiff und der Kammerphilharmonie war bei seiner Aufführung am Donnerstag die jahrelange Zusammenarbeit zu spüren, die das Orchester mit Schiff als ihrem 1. Gastdirigenten verbindet. Seine Virtuosität wurde dadurch zum Element des Werkes.

Interpretation: Einfühlsam und präzise

Einfühlsam und präzise dirigiert wurde das Stück von Jiri Belohlavek: Er ist Lehrer von Schiff und dessen Nachfolger als Gastdirigent. Eine bessere Interpretation ist kaum denkbar.

Bialas' Werk ist, wie die klassischen Instrumentalkonzerte auch, dreisätzig, allerdings mit anderen Schwerpunkten als frühere Vorbilder. Die beiden ersten Sätze — der zweite ist ohnehin mit „Intermezzo“ überschrieben — bereiten den langen dritten vor. Kurze Motive verbinden Soloinstrument und Orchester, das Cello oft im Dialog mit der Bratsche, denn Bialas verarbeitete seine Duos für diese Instrumente im dritten Satz des Konzertes weiter. Das Klangbild bleibt während das ganzen Konzertes durchsichtig und konzentriert, ohne dabei simpel zu sein; klangliche Sensationen gibt es allerdings nicht zu hören.

Bialas' musikalisches Credo liegt in einem Ideal von Einfachheit — für ihn manifestiert sich dies in einer Melodie mit Begleitung. 'Einfach' heißt natürlich nicht nostalgischer Rückgriff auf verbrauchte Tonsprache: Das Ende des Cellokonzertes bildet ein „Abgesang“, in dem eine melancholische Cellomelodie von kurzen, aus dieser Melodie entwickelten Motiven begleitet wird und langsam erstirbt. Bialas bleibt hier leider sehr in tonalen und damit bekannten Klängen verhaftet. Wilfried Wiemer