Wand und Boden: Hinter den Toren von Graceland
■ Kunst in Berlin jetzt: Daniel Habegger, Johannes Kahr, Aura Rosenberg, Meret Oppenheim
Daniel Habegger inszeniert auf großem Fuß: Allein das braun- graue Podest für 6.516 gebrauchte Black-Jack-Karten aus Las Vegas nimmt ein knappes Drittel der Galerie Zwinger ein. Der Sockel als Kunstwerk, und die monumentale Patience versinnbildlicht das Leben – Platons Zimmermann baut für Wittgenstein die Spieltische. Da der so geschlagene Bogen zwischen Erkenntnis und Erfahrung (oder auch Konstruktion und Dekonstruktion) nicht einfach aufzulösen ist, wiederholt Habegger das Zusammentreffen mit anderen Insignien aus dem Kulturbetrieb. Der Installation hängen vermischte Zeitungsnotizen zur Kritik am politischen Stellenwert der Kunst gegenüber, die mit strategischen Tips für Kunst als Öffentlichkeitsarbeit korrespondieren. Ein Kartenspiel wird zum antirassistischen, wenn auch grotesken Readymade mit der Aufschrift „Germany says: Elfer raus!“ Multi- beißt sich mit Popkultur, und nur bei Elvis Presley findet Habegger diese Zweiteilung versöhnt.
So haben seine Deckblatt-Entwürfe mit den Toren von Graceland durchaus symbolischen Charakter. Als Ikone mit Wünschen und Hoffnungen des amerikanischen Kleinbürgertums behaftet, hat sich Elvis gerade aus diesem gesellschaftlichen Umfeld lösen können, ohne es wirklich verlassen zu müssen – Country und Gospel vereinigen sich im Rock 'n' Roll. Statt diese wunderbare Aufhebung von Klasse und Rasse bloß selbstbezichtigend im Sinne politisch korrekter Zeitgenossenschaft zu bebildern, dokumentieren Habeggers Listen jedoch den Widerspruch zwischen künstlerischem Eigensinn und gesellschaftlichem Bewußtsein. Am Ende sang auch Elvis in Vegas.
bis 9.10., Dresdener Str. 125; Di.–Fr. 15–19, Sa. 11–14 Uhr
Sobald man die Räume der Galerie Mutzek betreten hat, verschwindet der schöne Schein, und ein Schaudern breitet sich aus. Es riecht nach Kafka und es sieht aus wie in einer Schlachterei. In dieser aufgeladenen Atmosphäre hat sich Johannes Kahr um die Aufarbeitung des Mythos vom Kindermörder Jürgen Bartsch bemüht. Bartsch, nicht weniger Ikone einer ziellosen, in sich gekehrten sexuellen Einsamkeit als neuerdings Michael Jackson, scheint wie geschaffen für den Ausdruck einer Verzweiflung, die „Gott notwendig macht“, wie Rilke einmal über die Plastiken von Rodin geurteilt hat. Insofern entzieht sich Kahr weder in Text noch Bild der Zuneigung, die er für den Täter empfindet. Es ist vielmehr der Sog jener unerfüllten Sehnsüchte, die Bartsch bei der Vernehmung zu Protokoll gab, und aus denen der Künstler schöpft: „Sexuell empfunden habe ich für Jungen nie etwas, auf der anderen Seite aber oft das ,dumpfe Gefühl‘ gehabt, daß ich zwar nichts für sie fühlen kann, jedoch das Gefühl völlig verschüttet sei.“
Kahrs Ölbilder und Kohlezeichnungen von traurig blickenden Jungen und Mädchen versuchen in dieses Denken vorzudringen, sie suchen nach einer Beziehung zum unvermittelten Affekt. Die Bilder sind nach Vorlagen aus einem medizinischen Lehrbuch entstanden, ursprünglich zeigten sie Abnormitäten und Mutationen. Kahr hat diese Stellen ausgespart, mit einem schwarzen Balken versehen. Die Portraits stellen den abwesenden Mangel dar, indem sie über ihn hinaus sprechen. Das Gefühl, „ein Fremdkörper zu sein“, wie es Bartsch formuliert, wird zum gestalterischen Mittel.
„Falsche Bewegung“, bis 29.9.; Invalidenstraße31; Di.–So. 16–20 Uhr
Ungewöhnlich zärtlich ist auch der fotografierte Blick, den Aura Rosenberg auf die Kinder einer Tagesstätte geworfen hat. Berliner Kindheit dokumentiert eine Kita-Gruppe, zu der auch ihre eigene Tochter gehört. Daß man sie unter den Knirpsen nicht ausmacht, zählt zu den Stärken der Arbeit. Allerdings zeichnet sich in der Vielzahl der 35 Fotografien auch kein Interesse ab, das über den kinderfreundlichen Umgang mit der Kamera hinausführt. Im Format nicht nur Albumfotos, sondern auch den kleinen Pornonachbildungen ähnlich, mit denen sich Rosenberg sonst beschäftigt, kann man die Exponate in drei Felder unterteilen. Zum einen ist da die Welt der Gegenstände, die die Heranwachsenden umgibt. Sie wurde von Rosenberg aus der Distanz aufgenommen: Ein einsamer Kinderwagen im Treppenflur, aufgereihte Handtücher im halbdunklen Waschraum oder ein überdimensionaler Frauenschuh neben kleinen Kinderstühlchen zur Vergegenwärtigung des Größenunterschieds. In einer anderen Bildgruppe läßt Rosenberg die Kinder miteinander spielen und „bei sich“ sein. Vier Aktfotografien zeigen Jungen und Mädchen, die ohne Scheu ihre Schlüpfer ablegen oder sich mit dem Handtuch abfrottieren, obwohl die Kamera sich sehr nahe an den Gegenstand heranwagt, fast als würde sich jemand mit einem Geschenk nach vorne beugen. Trotzdem bleiben die Kinder ziemlich unbeteiligt.
In der letzten Kategorie finden sich Bilder, die das Verhältnis zwischen Erwachsenem und Kleinkind darstellen, die Situation dient als Metapher: eine strenge Mutter mit Kopftuch stemmt die Hände in die Hüften und beargwöhnt die Kleinen beim Spiel, ein Knabe lächelt beim Akkordeonspiel melancholisch und weltvergessen. Kindheit ist Arbeit.
bis 26.9.; Galerie Likörfabrik; Auguststraße 91; Di.–Sa. 15–18 Uhr
Ein wesentlicher Trick des Surrealismus bestand in der Entfaltung von Zeichen, die sich fernab ihres Gehalts recht vage, aber dennoch rege in die Phantasie einschreiben sollten. Bei André Breton spiegelt sich dieser Anspruch in der Forderung wider, Worte nicht mehr nur wie „kleine Hilfskräfte“ zu behandeln. Meret Oppenheim übertrug diese Sprache unterhalb der Bedeutung auf die Gegenstandswelt des bürgerlichen Interieurs. Zum 80. Geburtstag der bereits 1985 verstorbenen Schweizer Künstlerin zeigt die Galerie Schön und Nalepa bis zum 30.10. die verschiedenen Mischformen aus poetischer Gestaltung und ungebändigtem Automatismus. Neben einem kleinen Souvenir zum „Andenken an das Pelzfrühstück“, mit dem Oppenheim als einzige Frau in der Surrealisten-Show 1933 beim „Salon des Surindépendants“ vertreten war, konzentriert sich die Ausstellung vor allem auf Multiples und Grafiken aus dem Spätwerk. Broschenartige Sonnenfetische oder „Le Cocon“, ein flauschiges Gewebe in einem winzigen Holzkasten – die Objekte zeugen von sehr viel Liebe zum Dekor, mehr im Einvernehmen mit Paloma als mit Pablo.
Anders das „Handschuhpaar“ von 1985: Hier blitzt die unmittelbare Geistesgegenwart der surrealen Erfahrung auf. Die Handschuhe liegen wie eine versteckte Waffe in einer speziell präparierten Buchattrappe, deren aufgeschlagene Doppelseite wiederum die Fotografie des selben Handschuhpaares abbildet. Das derart sich wiederholende Zeichen springt zwischen Bild und Abbild hin und her, ohne sich einigen zu können.
Pariser Straße 56; Di.–Fr. 12–18.30, Sa. 11–15 Uhr.
Harald Fricke
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