■ Mecklenburg-Vorpommern und die Reichskriegsflagge
: Die Fahne hoch

Im Kampf gegen die alten und neuen Nazis zeigen die unverantwortlichen Instanzen einen erstaunlichen Einfallsreichtum. Nachdem die Polizei ihren Einsatz in Fulda verschlafen hatte und Hunderte Jungnazis unbehelligt durch die Stadt marschieren konnten, sagte der hessische Ministerpräsident Hans Eichel erst mal gar nichts, und dann, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte, entschuldigte er sich bei den Juden im Lande für den bedauerlichen Vorfall. Womit er unausgesprochen, aber eindeutig klargestellt hatte, daß nichtjüdische, also normale Deutsche eigentlich keinen Grund hätten, über einen Nazi- Aufmarsch empört zu sein. Bald darauf stand die Bonner Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bis zu den Hüften in einem braunen Fettnapf. Ein Mitarbeiter des Hauses hatte ein nazistisches Machwerk, das der rechtsradikalen Szene als Beleg für die „Auschwitz-Lüge“ dient, als „wissenschaftliche Untersuchung“ bezeichnet. Das war der Ministerin sehr peinlich, und sie brachte ihr aufrichtiges Bedauern über die so entstandenen „Mißverständnisse“ zum Ausdruck, wobei sie gleich neue kreierte, indem sie erklärte, der betreffende Beamte sei „antisemitischen Tendenzen eindeutig entgegengetreten“.

Nun hat sich die CDU im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zu Wort gemeldet. Sie lehnte einen Antrag der Opposition ab, das öffentliche Zeigen der Reichskriegsflagge gesetzlich zu verbieten. Nun ist das Verbot des öffentlichen Zeigens der Reichskriegsflagge eher ein symbolischer Akt. Da man das Tragen von Springer-Stiefeln und Bomberjacken nicht verbieten kann, und da es zu den Grundrechten eines Bundesbürgers gehört, sich den Kopf kahlscheren zu lassen, ist das Verbot einer Fahne praktisch die einzige Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, das nichts kostet, wenig bringt, aber immerhin zeigt, daß die Politiker nicht mit verbundenen Augen durch die Gegend laufen. Daß die CDU nicht einmal hierzu bereit war, kann mit dem rauhen Klima dieser Küstenregion zusammenhängen, wo ein Pogrom wie das von Rostock zu den wenigen Attraktionen gehört, mit denen das Land in die Nachrichten kommt und Touristen angelockt werden. Eine schlechte Publizität, mögen sich die CDUler gedacht haben, ist immer noch besser als gar keine, die Reichskriegsflagge über Mecklenburg- Vorpommern zeigt nicht nur an, woher der Wind weht, sondern auch wohin die Geister drängen.

Statt die Initiative den Ultrarechten zu überlassen, sollten die Abgeordneten mutig genug sein, selbst Hand anzulegen und die umstrittene Flagge über dem Landtag in Schwerin zu hissen. Das Land hätte seine Attraktion, die Neonazis würden dumm aus der braunen Wäsche schauen, und die Abgeordneten hätten bewiesen, daß sie im Kampf gegen die rechte Gefahr derselben um eine Fahnenlänge voraus sind. Henryk M. Broder