Nekromantik II

Porträt des Münchener Werkstattkinos, einer der letzten Enklaven für Trash und Otto-Muehl-Filme Staatsanwaltschaft und RTL-Lizenzjäger stehen stets Gewehr bei Fuß  ■ Von Mariam Niroumand

Erich „Waco“ von Wagner

Gleich den Jahrmarktsbuden, den Kaschemmen, in denen das Kino seinen volxtümlichen Anfang nahm, riecht es auf den Treppen, die hinunter ins Werkstattkino führen, nach Bier und engem Beisammensein. Die benachbarte Druckerei unterstreicht noch das Hemdsärmelige, Krachlederne des Namens, obschon dies wilde, subterrane Kino längst aus dem Kulturetat der Stadt unterstützt wird.

Alles hatte, wie oben vom Kinogründer Waco beschrieben, ganz artig angefangen, in den Reihen der Anti-Atomkraft-Bewegung, deren Super-8-Filme nirgends gezeigt wurden. Aber Waco wollte etwas anderes. „Im Dezember 1974, noch während der Grundausbildung zum Sanitätssoldaten, wurde mir und meinen Kameraden „Army Medicine in Vietnam“ auf Auge und Magen gedrückt, ein für mich nützliches Schockexperiment. So sollte mein Kino ausschauen.“ Bei diesem situationistischen Konzept ist das Werkstattkino tatsächlich geblieben: Filme aus ihrem ursprünglichen Kontext entwenden, um sie als Kunst, als Trash oder als Dokument wieder auftauchen zu lassen. „Army Medicine in Vietnam“ zum Beispiel war zunächst ein Unterrichtsfilm des Pentagon, der dann in der ersten Phase des Werkstattkinos von Kriegsgegnern frequentiert wurde, später aber zum Kronjuwel der Splatter-Gemeinde avancierte; Operationen an lebenden Soldaten, Brandverletzungen, die die Haut eines Schwarzen weiß werden ließen, klaffende Gesichtswunden – das konnte ihnen auch die raffinierteste „Nacht der reitenden Leichen“ nicht bieten. Oder das Atomszenario „War Games“, das damals in allen Versammlungsräumen, Zeltlagern und Hinterhofkinos lief: im Laufe der Zeit setzte der Film eine merkwürdig surrealistische Patina an, wenn man ihn nur häufig und intoxikiert genug sah. Die Illustration der Atomexplosion durch den Wechsel vom Filmpositiv zum blendend grellen Negativ ist seither durch so manchen Fantasy- Film gegeistert, den das Werkstatt- Kino dann mit Vergnügen beigesellt. Als die Anti-AKW-Bewegung dann auseinandergelaufen war und die von Waco gehaßten Diskutierer das Weite gesucht hatten, kam 1977 eine letzte Phase des Agit-Prop-Kinos. „Kampf dem Schweinestaat“ hieß die Losung, unter der die Rote Hilfe den Werkstatt-Leuten verfilmte Pamphlete zuspielte. Die Filmreihe über die Münchener Räterepublik erinnert Waco noch ganz gern, aber „Krupp & Krause“ zum Beispiel treibt ihm noch heute die Schamesröte ins Gesicht („Höhepunkt der Abartigkeit: wie die alten Kämpen mit dem Jungvolk ein Tänzchen auf einer SED-Jubiläumsveranstaltung wagen, das ist doch unglaublich“).

Die schwärzeste Stunde war für ihn der dritte Jahrestag des Kinos, die Zeit, als Harrisburg nach einem GAU evakuiert wurde. Zwei der Kinobetreiberinnen entschlossen sich, irgendwelche wahllos zusammengestellten Filme zu zeigen und die Vorführungen nach zehn Minuten abzubrechen, um über die Gefahren des Atomstroms aufzuklären. Auch die kirchliche Filmarbeit sprach damals gern von „Sprechanlaßfilmen“; aber der Gebrauch des Kinos als Seminarraum spaltete die Belegschaft. Um so überraschender, daß aus dieser Zeit der Beschluß stammt, der dem Kino womöglich das Leben gerettet hat: Wer einmal dabei ist, hat Narrenfreiheit, ohne Wenn und Aber. Die sechs Männer und Frauen konzipieren ihre Reihen selbst; wer Dienst hat, bestimmt, was auf die Leinwand kommt. Außer „Drei Männer und ein Baby“ ist alles erlaubt. Mit einer tiefsitzenden Antipathie gegen Fassbinder einerseits und John Waters andererseits bewegt sich das Programm des Werkstattkinos durch die Filmlandschaft wie ein Kokainist mit Taschenlampe; erratisch, zickig, verbohrt nach Illumination suchend. Schon in den siebziger Jahren, als man in der Berliner Off-Kino-Szene „Trash“ noch mit imperialistischer Dekadenz verband, mischten die Werkstättler frühen Andy Warhol, Lana Turner – Melodramen, Markopoulos oder Kenneth Anger mit dem Wiener Aktionskino des Otto Muehl, Gunter Brus und Otmar Bauer. An einem Abend Kenneth Angers „Fireworks“ (1947) zu sehen – ein flammendes, schwules Psychodrama mit Matrosen und römischen Fackeln – und später Otto Muehls kropophilen „Scheißkerl“ oder Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ neben frühen Nazi-Propagandafilmen oder denen von Charles Manson, das hätte auch dem New Yorker Untergrund-Conoisseur Jonas Mekas Respekt abgenötigt.

Die Idee ist keineswegs, unbedingt auf den Inkriminierungslisten der Zensoren zu landen oder Links wie Rechts verärgern zu müssen. Das Kellerkinder-Pathos der Werkstättler rührt eher von einem ganz ernsthaften, fast messianischen Glauben an die Wiederkehr des Verdrängten in Gestalt der ledergesichtigen Untoten, der Kitsch-Nazis aus „The Secret Life of Adolf Hitler“ oder der Hausfrauen, die verzückt feststellen, daß ihnen soeben ein Speiseaal in die Unterwäsche geglitten ist. Die Schreckgespenster aus den psychischen Kellergewölben ersetzten hier sanglos-klanglos die politischen Utopien der frühren siebziger Jahre. Das merkte man speziell den frühen Themenreihen des Werkstattkinos an, die dann allerdings auch mit schöner Regelmäßigkeit von der Staatsanwaltschaft heimgesucht wurden. „Sexualität im Film“, eine Reihe „laokoonhafter Fickstaffetten“, in der das erste Mal der in Deutschland nach wie vor verbotenene „Texas Chainsaw Massacre“ vorgestellt wurde, endete mit der Beschlagnahme nicht nur dieses Films, sondern aller zweihundert Kopien des Filmverleihs von Karl Heinz und Renate Hein. „Was ist schlimmer“, fragt Hubert Heinhold, Hausanwalt des Kinos, „wie in ,Texas Chainsaw‘ einen abgetrennten Kopf zu zeigen, aus dem Blutfontänen springen, oder Donald Duck nach einem Absturz aus 2.000 Meter Höhe ohne Fallschirm wieder aufstehen zu lassen?“

Besonderen Haß zog die Reihe „Todesfilme“ auf sich, vor allem weil sie vom Land finanziell gefördert worden war. Nach Vorführungen von Stan Brakhages Autopsie- Film „The Act of Seeing with One's Own Eyes“, „Kampuchea 3&4“, Konzentrationslager-Dokus oder Bildern vom Aufstand im Warschauer Ghetto neben „Night of the Living Dead“ standen Journalisten mit gespitzten Mikrophonen im Foyer und fragten die Herauswankenden, die sich in Ruhe auf den Treppen übergeben wollten, ob man wirklich für SOWAS nun staatliche Gelder aufwenden müsse.

Die letzte Verhandlung in Sachen Werkstattkino drehte sich um den Film „Nekromantik II“ von Jörg Buttgereit, der im Juni 1991 während der laufenden Vorstellungen aus dem Vorführgerät gerissen und beschlagnahmt wurde. Die Vorführerin Doris Kuhn wurde zu einer Geldstrafe von 900 DM verdonnert, da sie gewußt habe, daß der Film die Gewalttätigkeiten auf eine Weise darstelle, die die Menschenwürde verletzte. In der mündlichen Verhandlung kommt ein Gutachten der Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, daß „der Film durch Inhalt, Aussage, und die verwendeten künstlerischen Stilmittel nicht das Gepräge eines Kunstwerks enthält, welches es rechtfertigen würde, Grausamkeit in einer derart exzessiven und die Menschenwürde verletztenden Weise darzustellen“.

In der Zwischenzeit wurde dann aber die Verschärfung des Paragraphen 131 StGB zurückgenommen und durch eine Formulierung ersetzt, nach der exzessive Gewaltdarstellungen nur dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn der Film darauf angelegt ist, „den Betrachter zur bejahenden Anteilnahme an den Schreckensszenen anzuregen“. Lädt „Basic Instinct“ weniger zur Nachahmung ein als die vom Gericht diskutierte Schlußszene aus „Nekromantik II“, in der die Hauptdarstellerin ihrem Liebhaber Mark den Kopf absägt und durch den ihres früheren Freundes Robert ersetzt, wodurch erst ihr ein Orgasmus möglich ist? Das Gericht verneinte, und so sind beide Filme weiterhin zu sehen; der eine allerdings nur im Werkstattkino. Was die Staatsanwaltschaft nicht konnte, schafft vielleicht RTL. Der gesamte Trash der Siebziger, inklusive der Polizei- und Horrorfilme, wird von der Regenbogen-Mafia eingekauft und zu besten Sendezeiten ausgestrahlt, die Lizenzen sind für ein Kellerkino längst nicht mehr zu erwerben. „Hinzu kommt“, moniert Doris Kuhn, die unlängst auf der Suche nach Peckinpah-Originalversionen durch Europa tourte, „daß die meisten Verleiher mit Ausnahme von UIP oder Columbia keine Filmarchive mehr führen. Das Frankfurter Filmmuseum sammelt die Art von Filmen, die wir suchen, auch nicht. Wir haben mitunter Schwierigkeiten, an irgend etwas heranzukommen, was älter als drei Jahre ist. Man übersieht die Schönheit dieser Exploitationfilme einfach im Fernsehen.“

In einem Fotoband von Christof Leistl hat sich das Kino jetzt verewigt. Leistl ist es gelungen, das Kaschemmenhafte, Selbstgemachte und zugleich das Traumverwehte und Hybride des Werkstattkinos und seiner Mitternachtsgemeinde aufscheinen zu lassen. Am Rand eines besonders würdig geratenen Fotos aus dem Zuschauerraum heißt es: „Schmale Treppe hinunter zwischen Wänden, die aussehen, als wären sie vollständig mit Ochsenblut gestrichen, in dem in meiner Heimatstadt die Fachwerkbalken gerötet wurden. Man bringt vielleicht ein kleines Brandopfer dar (mit oder ohne Filter), entrichtet sein Geldopfer bei dem kahlrasierten Priester und harrt mit den wenigen aufrichtigen Gläubigen der heiligen Handlung zur Läuterung der Seele. Nosferatu jr. schmeißt die Teufelsmaschinen an ...“

mai 1975. Wenn es sachen gibt, welche mich ganz gemein aneiern, dann sind das diskussionen über film. Dass ich mit dieser haltung allein stehe, wurde mir schon in der ersten sitzung klar, als es darum ging, welche art von kino wir nun machen wollten. Da wurden doch allen ernstes woody-allen- oder humphrey-bogart-retrospektiven vorgeschlagen. Ich dachte, mir brennt der hut, der ganze affenzirkus für einen hausfrauenschwarm, der sich ständig am ohr kratzt! Man war überdies der meinung, dass darüber auch noch abgestimmt werden sollte: die mehrheit sollte recht behalten. So eine verdammte scheisse!