Isoliert im Lager an der Rollbahn

Containerunterkünfte an den Rollbahnen und ein ausgesprochen kurzes Abfertigungsverfahren erwarten AsylbewerberInnen seit dem 1. Juli an deutschen Flughäfen  ■ Aus München Corinna Edmundts

Dies ist die Geschichte des Asylbewerbers Claudel aus Zaire, der mittlerweile in München seinen Antrag auf Asyl stellen konnte. Daß es dazu gekommen ist, war lange Zeit unwahrscheinlich. Schuld daran ist nicht zuletzt die Flughafenregelung der seit 1. Juli geltenden Asylgesetzgebung:

Es ist 3 Uhr früh, als Beamte des Bundesgrenzschutzes Claudel und dessen jüngeren Bruder nach 19stündiger Vernehmung in das Containerlager am Flughafen München zurückbringen. Das direkt an der Rollbahn aufgestellte Lager ist in gleißendes Flutlicht getaucht. Jetzt können die Brüder drei Stunden schlafen. Um 5 Uhr morgens wird sie spätestens das Dröhnen der Flugzeuge über ihren Köpfen wecken.

Als das Stahltor hinter ihnen ins Schloß fällt, die uniformierten Beamten es abschließen, ist die Flucht des Journalisten und Regimekritikers Claudel und dessen Bruders aus Zaire erst einmal zu Ende. Eine Stunde zuvor hat ein Einzelbefrager vom Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ihren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt: Ihre Angaben seien widersprüchlich, die Papiere unvollständig. Hätte Claudel nicht sofort protestiert und Widerspruch eingelegt, würden die zwei in der nächsten Maschine zurück in ihre Heimat in Schwarzafrika sitzen. Zaire, ein zerfallendes Land, in dem seit 1965 der Militärdiktator Mobutu mit Willkür herrscht.

Claudel wird in München ein Eilverfahren vor Gericht bekommen, das maximal 14 Tage dauert. Erst dann weiß er, ob er offiziell nach Deutschland einreisen darf. Das heißt jetzt, in diesem Moment um 3 Uhr früh: Warten, Ungewißheit, Angst. Bei einer Rückkehr nach Zaire, sagt Claudel, „muß ich damit rechnen, umgebracht zu werden“. Er und sein Bruder wirken verstört, verunsichert. Es ist ihr zweiter Tag auf deutschem Boden.

Am Vortag waren sie mit einer Frachtmaschine aus Zaire angekommen und vom Bundesgrenzschutz empfangen worden. Einer der Beamten, so Claudel, wollte sie kurzerhand mit derselben Maschine zurückschicken, obwohl sie deutlich machten, politisches Asyl beantragen zu wollen. Die Brüder kamen in das Containerlager im sogenannten „Transitraum“ des Flughafens, auf dem sie als noch nicht eingereist gelten.

Abends wurden sie vom Bundesgrenzschutz zu einer mehrstündigen „erkennungsdienstlichen Ermittlung“ abgeholt. Am nächsten Morgen um 8 Uhr begann die Befragungstour durch Bundesgrenzschutz und anschließend durch den Einzelbefrager des Bundesamtes, die insgesamt 19 Stunden dauern sollte.

Bei guter Sicht ist der pyramidenartig in den Himmel ragende Besucherhügel des Münchener „Franz-Josef-Strauß-Flughafens“ regelmäßig überfüllt. Die kaum ein Jahr alte Anlage, von der Betreibergesellschaft gerne als „modernster Flughafen der Welt“ bezeichnet, wurde zur Ausflugsattraktion. Luftige weißlackierte Gebäude und bunte Fahnen prägen das Bild. Die Container des Lagers für Asylbewerber weit hinten an der nördlichen Rollbahn sind von dort nur schwer zu erkennen.

Seit dem 1. Juli stehen auf der zweckentfremdeten Schneedeponie des Flughafens die sechs Container, ausgelegt für 24 Insassen. Ein Waschcontainer und einer, in dem sich zwei Kochplatten befinden, gehören dazu. Der Boden ist betoniert, das kleine Gelände von Doppelgittern und doppelten Stacheldrahtrollen umzäunt. Weil die Umgebung zum Flughafen München gehört, das Lagerinnere aber der Regierung Oberbayern untersteht, bewachen gleichzeitig zwei Wachdienste das Lager, einige Wächter tragen Uniform und sind mit Schlagstöcken und Handschellen bewaffnet. Für rund hundert Flüchtlinge im Juli und August waren dies die ersten Eindrücke in Deutschland.

Mit dem Lager handelte sich die Regierung Oberbayerns bereits „wegen Körperverletzung durch Fluglärm und Freiheitsberaubung“ eine Strafanzeige ein. Grünen-Stadträtin Angelika Lex zeigte sie wegen der dortigen „unmenschlichen Zustände“ an. „Verstöße gegen Menschenrechte werden hier ganz bewußt in Kauf genommen, um weiterhin das Instrument der Abschreckung einsetzen zu können“, sagt Angelika Lex. Die Regierung Oberbayern teilt diese Auffassung nicht: „Wir halten die Lärmeinwirkung für zumutbar“, so Regierungssprecher Karl Stadelmayr.

Aufgestellt wurde die Unterkunft nach der neuen Bonner Asylgesetzgebung, welche die Einreise per Luftweg von Ausländern neu regelt und vor zwei Monaten in Kraft getreten ist. Flüchtlingen, die mit unvollständigen Papieren oder aus „sicheren Herkunftsländern“ kommen, wird die Einreise nach Deutschland zunächst verweigert, bis eine erste Entscheidung des Bundesamtes getroffen ist. Das darf höchstens drei Tage dauern – für die Flüchtlinge bedeutet dies direkt nach der Ankunft Befragungsstreß. Wird der Asylantrag abgelehnt, können die Betroffenen Widerspruch vor dem Verwaltungsgericht oder Bundesverfassungsgericht einlegen, was laut Gesetz höchstens 14 Tage dauern darf. Bis dahin – maximal 19 Tage – dürfen sie nicht nach Deutschland einreisen. Das bedeutet, daß sich die Flüchtlinge auf dem Flughafengelände im „Transitbereich“ aufhalten müssen.

Bei dem Münchener Containerlager ist es schwer herauszufinden, warum es gerade direkt am Rollfeld aufgestellt sein muß. „Wir haben erst am 29. Juni davon erfahren“, sagt ein Sprecher der Flughafengesellschaft München entschuldigend. Tatsächlich aber rückten am 29. Juni bereits Bauarbeiter an. Spätestens im Oktober soll ein anderer Ort für die Asylbewerber gefunden sein, denn die Schneedeponie wird gebraucht. Doch die Verhandlungen scheinen schwierig zu sein. „Geld spielt da sicher eine Rolle“, gibt Karl Stadelmayr von der Regierung Oberbayern zu. Offenbar will die Flughafengesellschaft keine lukrativen Flächen für Asylbewerber hergeben. Am Flughafen Frankfurt dagegen sind Flüchtlinge seit 1. Juli in einem Terminal-Gebäude untergebracht.

Am fünften Tag nach Claudels Ankunft herrschen 30 Grad im Schatten. Die Brüder Balaya haben sich einen Sonnenschirm neben den Container gestellt. Alle drei Minuten startet oder landet ein Flugzeug. Manchmal ist das Donnern so laut, daß man schreien muß, um sich noch unterhalten zu können. Dazwischen tönt ein kleiner Recorder mit christlicher Musik aus Zaire. 500 sogenannte Flugbewegungen sind es mindestens pro Tag, an Spitzentagen können es bis zu 750 sein. Irreparable Gesundheitsschäden verursache dieser Lärm zwar nicht, sagt Almuth Sellschopp, Professorin für Psychosomatik am Münchner Klinikum rechts der Isar, „aber wenn jemand in Angst und Schrecken geflüchtet ist, gibt ihm das den Rest“. Nervöse Störungen können die Folge sein.

„Wir sind isoliert, alleine mit dem Lärm“, sagt Claudel. Richtig schlafen könnten sie nur fünf Stunden pro Nacht, dann, wenn kein Flugzeug mehr fliegt. „Bei dem Lärm kann man nicht nachdenken, keine intellektuellen Kapazitäten sammeln.“ Der 25jährige spricht französisch, ein bißchen altmodisch, mit afrikanischer Satzmelodie. Fast wie Gesang hört sich das an, wenn er eindringlich erzählt: „Madame, je vais vous dire, le droit d'opinion, il n'est plus au Zaire.“ In Zaire gibt es sie nicht mehr, die Meinungsfreiheit.

Bernhard Zepf, Mitarbeiter des kirchlichen Sozialdienstes am Flughafen, bezeichnet Claudel als „Edelflüchtling“. Wenn nicht Claudel Recht auf Asyl habe, wer dann? Sein Vater war ein demokratischer Oppositionsführer, den Militärdiktator Mobutu 1968 ermorden ließ. Seine Familie werde überwacht, erzählt Claudel. Er selbst schreibt als Journalist für seine Heimatzeitung und gründete eine christliche Menschenrechtsorganisation. In seinem letzten Artikel in diesem Jahr rief er zur Revolution gegen Mobutu auf. Der Artikel wird zensiert und Claudel verhaftet. Sein Bruder werde von Militärangehörigen Mobutus mehrfach bedroht, mißhandelt und sexuell mißbraucht.

Ein Bewacher des Containerlagers läuft an den Brüdern vorbei und grinst ihnen zu. Mit dem Kopf macht er nickende Bewegungen und führt gleichzeitig mehrmals die Hand zum Mund, so, als würde er in einen imaginären Hamburger beißen. Es ist Zeit zum Mittagessen. Der Mann spricht weder französisch noch englisch. Er kann sich mit den Brüdern nur durch Gesten unterhalten. Später wird er den Kollegen erzählen, er verstehe sich „ausgesprochen gut“ mit beiden.

Eben ist Sozialpädagoge Bernhardt Zepf angekommen, wie jeden Tag, um nach den Asylbewerbern zu schauen. Der kirchliche Mitarbeiter, dessen regenbogenfarbenes Hemd in dieser Betonwüste geradezu exotisch wirkt, hat französische Zeitungen für die Brüder dabei. Die Sozialarbeiter beraten die Flüchtlinge bei ihrem Verfahren, empfehlen Rechtsanwälte und erledigen Telefonate. Sie bekommen das gesamte Asylverfahren hautnah mit.

Die Unterbringung sei „menschenunwürdig“, sagt Zepf, „doch das eigentliche Problem ist das Flughafenschnellverfahren an sich“. Die Flüchtlinge kämen direkt nach der Ankunft in einen Verfahrensstreß, ohne vorherige Rechtsberatung – und ohne zu wissen, um was es geht. „Man macht die Leute zum Objekt eines Verfahrens, in dem sie nicht mehr selbständig handeln können.“ Erst nach der Befragung und Entscheidung des Bundesamtes, ob ihr Asylbegehren begründet ist, bekommen die Flüchtlinge laut Asylverfahrensgesetz eine Rechtsbelehrung. Erst dann darf der Kirchliche Sozialdienst hinzukommen.

„Durch den enormen Zeitdruck sind Verfahrensfehler vorprogrammiert“, kritisiert Zepf. Claudel wurde nicht einmal nach Dokumenten gefragt, die sie hätten vorweisen können. Statt dessen hatten die Beamten Claudel beim Verlassen der Container angewiesen, seinen Aktenkoffer im Lager zu lassen, für die Befragung bräuchten sie nichts mitzunehmen.

Das Verhältnis zwischen Bundesgrenzschutz (BGS) und Sozialdienst am Münchner Flughafen ist gespannt. Die Sozialarbeiter sind den Grenzschützern lästig. Die BGS-Beamten können Asylbewerber direkt ohne Dolmetscher an der Flugmaschine zurückweisen, wenn sie aus „sicheren Drittländern“ kommen. Kontrolliert wird der BGS dabei nicht. Und wie viele Menschen zurückgewiesen werden, darüber will die Behörde keine Auskunft geben. In kritischen Fällen weist der BGS die Sozialarbeiter am Flugzeug an, außer Sichtweite zu warten.

Eine Recherche des kirchlichen Sozialdienstes ergab, daß der Verwandte, der den Brüdern in Zaire zur Flucht verholfen hatte, jetzt im Gefängnis sitzt. Der Bundesgrenzschutz hatte dem Transportunternehmen, in deren Frachtmaschine die Brüder gekommen waren, ein Bußgeld angedroht. Erst dadurch erfuhr die Firma von den Flüchtlingen und leitete den Fall an Mobutus Militär weiter – so der Bericht der Sozialarbeiter.

Von dem Verwandten bekam der BGS ein Telex, in dem behauptet wird, Claudel und sein Bruder seien keine Asylbewerber. Daraufhin bekam die Richterin Zweifel an Claudels Glaubwürdigkeit. Erst auf Nachfrage der Mitarbeiter des Sozialdienstes stellte sich heraus, daß der Verwandte im Gefängnis gezwungen wurde, das Telex zu schreiben. Claudels Rechtsanwalt Franz Bethäuser: „An diesem Beispiel sieht man, daß das Flughafenverfahren dem Asylproblem nicht gerecht wird.“