Voscherau fightet um Macht

■ Die entscheidende „Sachfrage“: Der Koalitions-Poker der SPD wird von innerparteilichen Machtkämpfen begleitet     Von Florian Marten

„Sachfragen“, so betont es dieser Tage eine auffällig konsequent eingehaltene Sprachregelung der SPD-Führungsebene, sollten die Koalitionsfrage entscheiden, nicht etwa eine „Farbenlehre“. Die taz hat sich auf die Suche nach der „Sache“ gemacht – und wurde fündig: Es geht um Macht. Voscherau gegen alle. Das Mitte-Rechts-Lager um Günter Elste gegen Voscherau und Links, Links gegen Voscherau und Elste.

Jedes dieser drei Lager braucht einen speziellen Koalitionspartner, um innerhalb der SPD die Oberhand zu behalten. Das Ein-Mann-Unternehmen Bürgermeister Voscherau braucht das Ein-Mann-Unternehmen Markus Wegner, Günter Elste die alten Diäten-Kumpel um CDU-Fraktionschef Rolf Kruse, die SPD-Linke die Grünen.

Der noch amtierende Stadtchef Henning Voscherau sitzt in einer kitzligen Falle: Folgt er dem Willen der WählerInnen und verwirklicht Rot-Grün, dann verliert er Macht. Mit 77 Abgeordneten verfügte die rot-grüne Koalition über eine derart komfortable Mehrheit, daß Erpressungsspielchen mit ein, zwei Stimmen nicht mehr laufen. Der von Stadtchef und Senat verordnete Fraktionszwang verlöre an Gewicht, die Bürgerschaft erführe einen erheblichen Machtzuwachs.

Schlimmer noch: Unterstützte die Statt-Partei in Sachen Demokratisierung und Verfassungsreform gar die rot-grüne Mehrheit, sähe sich der Bürgermeister mit einem Block von 85 Stimmen konfrontiert, der die Verfassung ändern kann, wozu schon 81 ausreichen. Kein Wunder, daß Voscherau bei der Vorstellung von Rot-Grün Alpträume plagen. Er müßte tatsächlich den Willen der Parlamentsmehrheit in praktische Politik ummünzen, statt nur wenig kontrolliert Senatspolitik zu exekutieren.

Ähnlich einfach ist die Sache für den noch amtierenden Fraktionschef Elste. Diäten-Günter ist angeschlagen, sein Job als Fraktionschef wackelt. In einer Großen Koalition jedoch wäre er als Verbindungsmann unverzichtbar. Seine guten Drähte zu den Konservativen würden ihn zudem gegenüber Voscherau stärken. Unterstützung erhält Elste von den Teilen der Rechten, die eine „Bürgermeister-Nummer“ mit der „windigen“ Statt-Partei für zu riskant halten. Insgeheim macht sich Elste sogar Hoffnungen, am Ende als Bürgermeister einer Großen Koalition aufzuwachen. Freilich: Verspricht ihm Voscherau das Amt des Wirtschaftssenators, wäre auch Elste g plötzlich Fan der Statt-Partei-Koalition.

Erheblich verworrener ist die Lage bei der SPD-Linken. Die strategischen Köpfe unter ihnen wissen, daß sie in der Konstellation Rot-Grün die einmalige Chance erhalten, in der Hamburger SPD den Ton anzugeben. Auch sie fürchten eine Voscherau-Nummer mit der Statt-Partei, die ihren Handlungsspielraum enorm einengen würde. Andererseits bedrohen die Grünen gerade ihre Reservate. Posten und das Monopol auf die „guten“ Teile der Politik, die grünen und sozialen Bonbons, sind in Gefahr. Nicht zuletzt deshalb sind eine ganze Reihe von ihnen derzeit nicht sicher, wofür sie sich entscheiden sollen: Für Rot-Grün mit seinen Verlockungen, Chancen und Risiken oder für die Voscherau-Nummer, welche am ehesten ein Weiterwursteln im bisherigen Stil garantiert.