Drogen? Na logen!

Der „Sommer der Liebe“, Wenzel Storchs zweiter Sündenfall, im Eiszeit und im Moviemento  ■ Von Bernd Imgrund

Was wird aus einem Menschen, der zehn Jahre seines Lebens als Meßdiener zubrachte? Er gerät auf die schiefe Bahn und dreht krumme Dinger – oder Filme. Wenzel Storch gelingt beides. Nunmehr zum zweiten Mal nach „Der Glanz dieser Tage“ macht er kamerabewehrt Jagd auf seine meßgewandete Jugend, legt er die Liturgie ebenso brünstig wie blutrünstig über Kimme und Korn und aufs Kreuz.

Der dickbäuchige Alt-Hippie Oleander sucht ein Plätzchen für den Winterschlaf. In einem orientalisch verhangenen Kloster glaubt er sich am Ziel seiner Reise, aber die ansässigen Nonnen unterziehen den Ungläubigen einer Oblatenmast, so daß der märchenhaft Gehänselte sich in der Pflicht fühlt, als Weihnachten naht. Er verwandelt die karge Bestallung in ein „Rock-Kloster“, über und über verkleistert mit den Ikonen der Starschnitt-Ära. Als hätten sie soeben die Bühne des Heiligen Heck erklommen, strahlen Bernd Clüver, Chris Roberts und Costa Cordalis von den Wänden, konterkariert durch vereinzelte Alice Coopers und Ringo Starrs. Die Hippies der Umgegend pilgern herbei, eine große Party steigt, garniert mit den psychedelischen Popeln eines Catweezles und einem gigantischen halluzinogenen Weihrauchrülps des Gastgebers.

Hier enden die Super-8-verwackelten Innenaufnahmen dieses „Sommers der Liebe“. Mit dem ersten Sonnenstrahl macht sich Oleander unter dem Banner von Schlaghose und Paisley auf Jüngerfang. Darsteller Jürgen Höhne, sächselnd und in seiner Physiognomie schwer an den seligen Wolfgang Neuss erinnernd, glänzt dabei durch eine missionarische Überzeugungskraft („Nehmt Ihr auch Drogen? Na logen.“), die Roger Daltrey als verschlafenen Pinball- Tommy wie einen kreuzlahmen Ersatzjesus aussehen läßt. Wenzel Storch laviert sein Wald-und-Wiesen-Movie querbeet vom Splatter bis zur Sesamstraße und trifft an beiden Enden ins Schwarze. Ekelerregend die neonblaue „Popwurst“, Überbleibsel einer verhackstückten Hippietramperin, anrührend dagegen die Trickfilmanimation aus der Monty-Python- Schule und der Kett-Car-Ausflug zweier Plüschigel, ins Rollen gebracht durch hintereinandergeschnittene Standbilder. Beglückwünschen muß man Storch zudem für die Besetzung des Erzählers. Die Stimme von Hans Paetsch, bekannt von zahllosen Europa-Märchenplatten, läßt Jorinde und Joringel wieder flügge werden und war für die Beschallung des Kinderzimmers sicherlich ebenso bedeutsam wie in späteren Entwicklungsphasen die von Ilja Richter, Manfred Sexauer oder John Peel.

Obendrein sitzen auch noch die Dialoge. Als Oleander sich in den Armen Jasmins am Ende seiner Odyssee wähnt, stolpert er über deren inquisitorische Frage, wann er denn zum ersten Mal geknutscht habe. „Noch unter Adenauer“, antwortet die ehrliche Haut und verleiht dem Film damit nicht nur endgültig eine sozio-historische Dimension, sondern beraubt sich zugleich seiner gerade gewonnenen Liebe. Jasmin flüchtet in den Wald, um bald kräutererleuchtet in einer waghalsigen Mountain- Climbing-Sequenz das „Mattenhorn“ zu besteigen, welches sie, die vormals Kahlköpfige, als rotharige Rapunzel wieder verläßt. Nach einem hilflosen Selbstmordversuch erfährt auch Oleander das Wunder der Vermattung, das die Liebenden wieder zusammenführt. Doch auch dieses Glück ist nicht von Dauer. Die Flitterwochen enden mit einem Flugzeugabsturz, den Storch technisch diesmal eher an der Augsburger Puppenkiste orientiert, und Oleander sinkt, vom Schicksal er- und vom Propeller wieder entmattet, ins Gras. Bevor er hineinbeißt, beichtet er den letzten Getreuen seine wahre Identität: Er sei der legendäre Conny Cramer, man erinnere sich, das war Juliane Werdings pseudonymisches Attentat auf Jim Morrison.

Wie Legenden, so leben auch Zombies und Propheten lange, wenn nicht ewig, und da Olli- Conny jene in Dreieinigkeit verkörpert, ersteht auch er wieder auf und beschert dem „Sommer der Liebe“ ein elysisches Happy-End. Denn: Auch ein toter Hippie muß mal Pipi.

Der „Sommer der Liebe“, Amazonas Filmverleih, läuft zur Zeit täglich im Moviemento 2 (20.15 Uhr) und im Eiszeit-Kino (19.30/21.30).