Wer kennt schon Mickey Katz?

Für den afroamerikanischen Klarinettisten Don Byron ist Klezmer-Musik jüdischer HipHop. Jetzt hat er eine Platte mit Kompositionen des Klezmer-Avantgardisten Mickey Katz aufgenommen. Mit Byron sprach  ■ Christian Broecking

Wenn Don Byron etwas nicht mag, dann den Edel-Jazz eines Wynton Marsalis – was nicht heißt, daß er gegen Erfolg eingestellt ist. Erst vor kurzem wurde der Afroamerikaner aus der South-Bronx vom Magazin „Downbeat“ zum Klarinettisten des Jahres gewählt. Aber Byron legt sich nicht fest: Während er auf seiner letztjährigen Debüt-CD „Tuskegee Experiments“ das, was er unter der Erotik eines Strauss-Walzers versteht, mit Robert Schumann und dem Jazz von Art Blakey zusammenbrachte, tourt er in diesem Herbst im Latin- Groove. Seine aktuelle CD „Don Byron plays the Music of Mickey Katz“ (bei Nonesuch erschienen) geht allerdings auf ein 1989 mit hochkarätigen New Yorker Szene- Musikern begründetes Klezmer- Projekt zurück.

Ein Schwarzer, der Klezmer spielt: bislang ist das mehr als bloß eine Ausnahme – auch wenn Klezmer in der Mickey-Katz-Variante zweifellos Großstadtmusik ist. „I get a schneid like my messer/when you open up that great big fresser“, hieß es einst im wüsten Englisch- Jiddisch bei Katz, einer Vaterfigur des New Yorker Klezmer in den Fünfzigern – der Zeit, als Hebräisch die Sprache der zionistischen Bewegung war. Die Aufnahme der Byron-Gruppe ist nicht nur ähnlich ungewöhnlich wie ihr Vorbild, sie ist auch eine späte Hommage an den Klarinettisten, Bandleader, Komiker und Parodisten Katz und dessen „Musik für Hochzeiten, Bar Mitzwe und Beschneidungen“.

taz: Sie sagen, Jazz im heutigen Amerika bedeute, daß gepflegte Herren in Armani-Klamotten Bebop spielen. Das kann doch nicht alles gewesen sein?

Byron: Doch, fast. Zunächst habe ich den Eindruck, daß heute jeder verwechselbar klingt. Sicher tut sich was in kompositorischen Dingen, aber die werden nicht im Lincoln-Center (highbrow-Veranstaltungsort in New York; d. Red.) aufgeführt, dort, wo Wynton Marsalis spielt. Auf der anderen Seite ist allerdings zu sagen, daß das, was im Lincoln-Center geschieht, noch nie hip zu nennen war. Sie haben es in den vergangenen 50 Jahren gerade mal geschafft, eine Oper dort uraufzuführen. Was nun am Lincoln-Center in Sachen Jazz passiert ist mit dem vergleichbar, was die New Yorker Philharmoniker machen. Sie spielen ein Leben lang die Musik, die sie in der Schule gelernt haben, statt etwas Neues zu versuchen. Wynton fällt dort also nicht unangenehm auf. Was heute in diesen Institutionen vorgeht, ist der Versuch, Jazz zu einer klassischen Musik zu degradieren. Das könnte scheitern, es muß nicht, aber hoffen wir's.

Wenn ich allerdings Ihre Stellungnahmen zur afroamerikanischen Realität mit denen von Wynton Marsalis vergleiche, scheint mir die Differenz nicht allzu groß zu sein ...

Hey, wovon reden Sie? Wynton ist ein konservativer Bursche. Ich glaube, er wählt noch nicht mal die Republikaner, so konservativ ist er. Ich denke, daß zwischen ihm und mir Welten liegen – finanziell ganz gewiß.

Mag sein, aber beide beanspruchen Sie doch, Musik zu machen, die mit der schwarzen Community verknüpft ist.

Ja, der Unterschied ist jedoch, daß Wynton glaubt, die Community zu sein. Er glaubt, daß es nichts und niemanden neben ihm gibt. Keinen Stevie Wonder, Thomas Dolby oder George Clinton, verstehen Sie? Er glaubt ausschließlich an die alten Standards, die er spielt, alles andere ist in seinen Augen wertlos. Der Unterschied zwischen einem, sagen wir, schwarzen Republikaner wie Wynton und einem schwarzen Liberalen ist folgender: Wynton läßt nur ganz wenige andere Musiker gelten, jene in seiner Band nämlich, also muß er auch nicht teilen. Wenn ich sage: „Hey, es gibt nicht nur meine Musik, sondern hört euch auch den und den an“, dann kann ich eben auch nicht mehr erwarten, daß die Leute ihr Geld ausschließlich an meiner Abendkasse abgeben. Darüber hinaus kann er mir nicht weismachen, daß ausgerechnet Jazz die beste Musik aller Zeiten sein soll. Ich bin in der Bronx aufgewachsen mit Calypso und den ganzen karibischen Sounds. Ich habe James Brown gehört, und ich lass' mir nicht erzählen, daß es diese Musiken, die gar nichts mit Jazz zu tun haben, nicht gab und gibt. Einige wachsen aus einer Musik in die andere und tun dann so, als sei alles Mist gewesen. Aber ich mag immer noch Led Zeppelin, auch wenn ich gelegentlich ein Jazzmusiker bin. Ich schätze das, was Led Zeppelin damals riskiert haben, diese harten Beats und diese eigenartigen Kompositionen vor einem total verblüfften Publikum. Ich schätze das mehr als die Armani- Jazzer mit ihren Standards – sie riskieren nichts.

Wie kam es dazu, daß Sie Klezmer-Musik spielen? Es klingt zunächst höchst ungewöhnlich, daß ein schwarzer Musiker auf jüdischen Gemeindefestivitäten spielt.

Ich spiele jetzt schon seit 15 Jahren Klezmer-Musik. Zuvor war ich ausschließlich an dem hippesten Zeug interessiert, was musikalisch machbar war. Ich wollte nichts Altes hören, mochte noch nicht mal die alten Charlie-Chaplin-Schinken anschauen. Alles, was nach Tod roch, vermied ich – bis ich mich während meines Studiums in Boston eines Tages zähneknirschend auf ein Klezmer-Konzert vorbereiten mußte. Dadurch wurde mein Interesse an alten Musiken geweckt.

Das war wichtig, weil ich darüber zur Musik von Louis Armstrong und Duke Ellington kam – über Klezmer-Musik! Mich interessieren an Klezmer die kompositorischen Elemente, andere spielen Klezmer, weil sie sich den osteuropäischen Wurzeln verpflichtet fühlen. An Mickey Katz hat mich fasziniert, daß er nach neuen Interpretationen und Arrangements dieser alten Musik suchte. Er war weder Rumäne noch Orthodoxer, deshalb gelang ihm wahrscheinlich auch, über die eher traditionelle Klezmer-Musik hinauszukommen. Kurz gesagt: Was uns eint, ist nicht der Gebrauchswert der Musik, sondern das Interesse an kompositorischer Ästhetik. Katz starb 1985, wir wußten zwar voneinander, haben uns aber leider nicht mehr treffen können. Die Klezmer-Band, mit der ich in Boston zu spielen begann, war wohl die einzige, die seine Musik aufnahm. Katz' Musik zu spielen galt in der Klezmer-Welt als sehr uncool, zu unorthodox eben.

Welche Erfahrungen haben Sie als Afroamerikaner in der Klezmer-Szene gemacht?

Ich habe viel gelernt. Mir scheint, daß die Juden nicht besonders daran interessiert sind, öffentlich zu sein. Sie bemühen sich, ihre Kultur zu schützen und abzuschotten. Bei unseren Auftritten während der jüdischen Gemeindefestivitäten habe ich die unterschiedlichsten Typen kennengelernt, von den orthodoxen cats bis zu den hippie-dippie-Reformjuden, die so ausgeflippt wirken, daß man sie niemals auf so einem Fest vermuten würde. Wäre ich nicht in jener Klezmer-Band gewesen, wüßte ich nichts über die vielen verschiedenen Variationen, die es innerhalb der jüdischen Kultur im heutigen Amerika gibt. Und Sie vermuten richtig, daß derartige Kontakte zwischen Schwarzen und Juden zu den seltenen Ausnahmen gehören. Für die Entwicklung einer ethnischen Gruppe sind alle Strömungen in ihrer Gesamtheit zu sehen; wer retrospektiv mit dem Civil Rights Movement nur Martin Luther King verbindet und die Panthers vergißt, macht sich

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eben ein falsches Bild. Das habe ich von den Juden gelernt.

Wie haben sich die Konflikte zwischen Afroamerikanern und Juden auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Ich halte mich da raus. In New York gehört der Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen zum Alltag. Von mir ist allerdings nicht zu erwarten, daß ich mich etwa jetzt für die Juden engagiere, weil ich die Klezmer-Platte gemacht habe. Ich werde mich doch nicht gegen meine Community aussprechen. Also werde ich mich mit Kommentaren zu diesem Thema zurückhalten – es sei denn, sie nützen beiden Communities. Auf meiner Platte mache ich ausschließlich jüdische Musik, das hat nichts mit dem jüdisch-schwarzen Konflikt zu tun.

Sie nennen Klezmer den jüdischen HipHop. Was denken Sie über die aktuellen Jazz-HipHop- Projekte von Greg Osby oder Steve Coleman, den Sie ja neben Mickey Katz als einen der wichtigsten Künstler bezeichnen, die Amerika hervorgebracht hat?

Ich halte Steve Coleman tatsächlich für einen der interessantesten Musiker meiner Generation. Jazzer sind in der Regel musikalisch hochgebildet und an Skalen und Akkordprogressionen interessiert, an der Entwicklung des musikalischen Materials. HipHopper dagegen kommen mit einer gänzlich anderen Methode, Musik zu produzieren. Sie samplen, statt Noten auf lose Blätter zu schreiben, und sind auch gar nicht am musikalischen Handwerk interessiert. Vielleicht verstehen die Jungle Brothers oder Arrested Development ein bißchen was von Musik, aber das wären die Ausnahmen. Die Frage ist, mit welchen Maßstäben HipHop nun als Kunst gemessen werden kann. Ich würde meinen, daß auch die Collage eine Kunstform ist, aber ich glaube, daß vielen Jazzern der respektvolle Zugang zum HipHop fehlt – wie umgekehrt auch. Das scheint mir gegenwärtig noch hörbar zu sein. Gang Starr etwa quatschen dich mit irgendwelchen Traditionen voll, und daß sie Instrumente hassen, wenn man sie nach Zusammenarbeit fragt. HipHopper und Jazzer sind zwei Communities, die sich um ganz verschiedene Planeten bewegen. Zur Zeit nähert sich alles noch zu sehr dem Acid-Jazz-Zeug an – Ronnie Jordan und Jazzmatazz: unspektakulär und rapide alternd. Warum holt sich Jazzmatazz denn Donald Byrd und nicht Tim Berne? Warum sind die wirklich interessanten Jazzmusiker, die was Neues wagen, nicht dabei? Stell dir mal vor, was möglich wäre, wenn HipHopper mit dem World Saxophon Quartet 'ne Platte machen würden – aber wer von denen kennt schon das World Saxophon Quartet? Am Stadtrand von Washington lebt so'n Typ, Bobby Hill. Der hat mir kürzlich mal was wirklich Hippes vorgespielt, der sampelt eine Steve-Lacy-Solo-Platte und mixt das Ganze mit einem Beat, der dich weghaut.

HipHop-Jazz klingt lang nicht so neu, wie er promoted wird – aber wer kennt schon Bobby Hill?

In den liner notes zu Ihrer letztjährigen Debüt-Platte „Tuskegee Experiments“ schreiben Sie über die afroamerikanische Erfahrung: das 40 Jahre währende Syphilis-Experiment an 400 schwarzen Männern, die nicht behandelt wurden, und das sogenannte Luftfahrt-Experiment, bei dem an den Reaktionen hochqualifizierter Schwarzer auf spezielle Demütigungen abgelesen wurde, ob sie vertrauenswürdig genug seien, amerikanische Militärflugzeuge zu steuern. Sie verweisen auf die revolutionäre Tradition schwarzer Musik, den Free Jazz etwa und den Archie Shepp der sechziger Jahre. Heute sagt Shepp, die schwarze Community sei zerstört und mit dem Tode John Coltranes, 1967, ende die Entwicklung schwarzer Musik. Wie paßt das zu Ihrem Anliegen?

Archie Shepp ist ein alter Mann. Und alte Männer sind dafür bekannt, eigenartige Aussagen zu treffen. Shepp wird wohl kaum in die Knitting Factory gehen, um zu sehen, was sich musikalisch tut. Und das erwartet auch keiner von ihm. Aber ich müßte ein verdammtes Arschloch sein, wenn ich so reden würde. Ich denke zum Beispiel, daß Nirvana hip sind, und daß es zahlreiche schwarze Musiker im Pop-Geschäft gibt, die irre Sachen ausprobieren. Mit der Jazz- Welt ist das eine sehr merkwürdige Sache. Keiner außerhalb dieser Welt muß sich darum kümmern. Deine Platte kann fünf Sterne im Downbeat erhalten, aber keiner kauft sie. So what?

Treten Sie auch in New York auf?

Ja, ich gehöre zu den seltenen Exemplaren, die man in ihrer Heimatstadt gelegentlich auch spielen läßt. Meist in Gruppen anderer, und selten vor vollem Hause. Aber wer will das auch in einer Stadt erwarten, in der 20 Top-Avantgarde- Acts zur gleichen Zeit konsumierbar sind? Die Orte, wo ich spiele, würde ich als afroamerikanische Treffpunkte bezeichnen, obwohl keiner einem Schwarzen gehört. Es gibt natürlich auch solche Orte, wo man auf schwarze Publikumsgäste scheißt. Und wer kann sich etwa einen Besuch im „Blue Note“ leisten, wo man für eine Stunde Musik locker 50 Dollar löhnt? Wenn Phil Woods irgendwo spielt, wirst du auch kaum einen Brother im Publikum sehen. Das hat was mit Vibes zu tun – wir spüren genau, wenn wir nicht willkommen sind. Phil Woods ist dafür ein exzellentes Beispiel, Buddy Rich auch. Warum sollte auch ein Brother zu einer Band gehen, die afroamerikanische Musik machen will, aber nie einen Schwarzen engagiert? Es geht hier nicht darum zu behaupten, daß Weiße nicht spielen können. Das wäre lächerlich und unhaltbar. Aber sie sollen sich nicht beschweren, daß kein Schwarzer ihnen zuhört, wenn sie nichts mit ihnen zu tun haben wollen.