■ An Bertis Hacken
: Tiffy und die Fußball-Nationalen

Die Zeit der Selbstverleugnung ist vorbei. Wie konnte man herrlich lästern über den etwas zu einfach gestrickten Berti Vogts und seine suburban-yuppiesken Buben. Was konnte man sich ereifern über Pater Egidius' Visionen von einer Deutsch-National-Mannschaft, über die Demittierung von Stefan Effenberg (Stinke-Finger), über die Siebener-Abwehrkette, das Fehlen von Bernd Schuster und überhaupt. Jeder Treffer der gegnerischen Mannschaft, jede tölpelhafte Spielszene der Elf um den Flitze Flink des grünen Rasens, Lothar Matthäus: eine Wohltat.

„Es wäre begrüßenswert, wenn das deutsche Team in der Vorrunde ausscheiden würde“, hörte man sich noch unlängst sagen, nein, eher heucheln. Sicherlich, das tumbe Deutschland-Gegröhle klingt immer noch in den Ohren, das „Sieg“-Geschrei des Stadion-Pöbels nervt noch immer gehörig und die Vollidioten, die die Ruhe in den Wohnstraßen durch Böllerschüsse bei jedem deutschen Treffer stören, sind die gleichen, die jedes Bierholen in der Ecckneipe zu einem Spießrutenlauf werden lassen.

Doch wundersamerweise hat es einen spätestens seit dem Achtelfinale gegen Belgien am Sonnabend selbst erwischt. Ein kurzes Aufspringen beim 1:0 durch Ruuuudi Völler, ein „Oh, nee“ beim Ausgleich stante pede, erneut „Ole Ole“ beim 2:1 und 3:1, dann mächtiges Gezittere in der Schlußphase, als die Belgier den Anschluß schafften. Die Metamorphose von einem Internationalisten zu einem Fußball-Nationalisten hat sich schleichend vollzogen. Ein Einzelfall? Sicherlich nicht, auch wenn es bei der deutschen Fanfolklore schwer fällt, seine insgeheime Passion zu outen.

Daß es auch bei deutschen Erfolgen kollektives Leid geben kann, offenbart die TV-Berichterstattung, die am Sonnabend einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Gerhard Delling vom NDR, eine Art Grüßaugust im ARD-WM-Studio Dallas, normalerweise nur dafür berüchtigt, daß er in der Manier von Comedy-Star Wigald Boning die unmöglichsten Farben kleidungstechnisch mischt, Gerhard Delling also, hat nun offensichtlich den endgültigen Beweis dafür erbracht, daß der Unterschied zwischen dem Inhalt eines Sportmoderatorenkopfes und der Füllmasse des Spielgerätes der Kicker kein sonderlich großer sein muß. Vielleicht war das Dauer-Grinsen bei der Anmoderation eines Beitrages über die Ermordung des kolumbianischen Nationalspielers Andres Escobar noch ein Make-Up-Fehler der Maskenbildnerin. Doch einem Moderatoren, dem als einleitende Worte zu einem Mord nicht mehr einfällt, als „Es ist schön, daß die Bilder so schnell gekommen sind“ und der in der Abmoderation den gewaltsamen Tod eines Menschen in Kolumbien (tausende Mordopfer jährlich) als etwas Normales zu relativieren versucht, einem Menschen mit einem derart sonnigen Gemüt sollte der Haussender keine Steine in den Weg legen, seine Fähigkeiten voll auszuleben. Wie wäre es zum Beispiel als Tiffy in der Sesamstraße?

Max Schulz