■ Filmstarts à la carte
: Kußartige Kollaborationen

Todesmutig hat sich das kleine Kellerkino in der Dresdener Straße auf einen „Russischen Monat“ eingestellt. Hammer und Sichel heißt ein seltsames Ding, in dem es um eine Geschlechtsumwandlung im Stalinismus geht. Eine Frau wird zum Mann! Die Operation findet bei Funzellicht statt. Schemenhaft sieht man die Schwestern auf einem kleinen Beistelltischchen ein wichtiges Utensil vorbeitragen. Abrakadabra – ein Mann. Alles dran. Daneben sitzt eine Krankenschwester, mit der es beim ersten Windstoß schon zu kußartigen Kollaborationen kommt. Ja, der Mond schien so schön. Es darf aber zunächst nicht sein. Der Homunkulus, wenn es je einen gab, zieht hinaus in die Welt, und reüssiert dort nicht nur als Mann schlechthin, sondern gar als Supermann. Er wird Held der Arbeit. Er heiratet eine stramme Frau, aber irgendwie kommt es nicht zum Verkehr, und an dem Versagen zerbröckelt der Kunstmann schrittweise. Halb sinkt er hin, halb zieht es ihn zu seinem Kurschatten, der ollen Krankenschwester. Recht hat er. Aber: Tod und Teufel und potztausend. Auf solchen Leidenschaften kann kein Sowjetreich bestehen. Das Kellerkino läßt sich nicht lumpen und schenkt in der ersten Woche freien Wodka aus.

Niki de Saint Phalle denkt an Männer, wenn sie auf Farbdosen schießt – so eine Frau muß natürlich in ihrem Film gegen das Patriarchat Double-Binds produzieren. Was in Daddy, einer Peter- Schamoni-Produktion aus dem Jahr 1973, losbricht, ist ein ziemlich durchwachsener Feminismus, der neben Bataille de Sade studiert hat und zwischen Kastration, simuliertem Orgasmus und Frauenliebe driftet. Die französische Künstlerin hat den Tod ihres Vaters nicht betrauert, sondern als Anlaß für eine Abrechnung genommen. Vermutlich zu Recht, der Alte war ein soldatischer Charakter, der seine Frau schlug und Niki im Kindesalter an den Schlüpfern zerrte (später sprach sie darüber mit Lacan). Während in Rückblenden ein verschrecktes Mädchen mit dem geilen Ur- Saint-Phalle Blindekuh spielt, macht ihm die spätere Niki of the Nanas – als Schöpferin überdimensionaler Ur-Mutter-Skulpturen bekannt – den Prozeß und übernimmt auch die Bestrafung. Vater muß zusehen, wie Niki sich an seiner Statt in Männerphantasien ergeht, selbst zur Peitsche greift und schließlich wiederholt, was ihr an Leids getan wurde. So spiegelbildlich das Spiel mit der Aggression, um so merkwürdiger die Handlungen: Augen glotzen aus Nachttöpfen, blondbezopfte Girlies werden in Ringelstrümpfe gezwängt. Anstelle des Vaters liegt ein Gipspenis im Sarg.

Das Berliner Interfilm-Festival findet dieser Tage unter dem einleuchtenden Motto Das Böse und Der Trieb statt. Begründung möchten wir Ihnen hier im O-Ton präsentieren: „Das Grauen ist alltäglich geworden.“ Das ist lückenlos zu unterschreiben. Wahrscheinlich werden auch wieder pfundweise verkrustete Sehgewohnheiten aufgebrochen. Das Eröffnungsprogramm: Long Night of Famous Shorts (Brian de Palma, Roman Polanski, David Lynch, u. a.). Dann 70 eingesandte (Kurz-)Filme und Videos. 10 Episodenhorrorfilme aus Italien. Sex-Horror-Underground aus den USA der 70er Jahre. Der Knüller: Norbert Bolz hält einen Vortrag über – das Böse. Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen.

Wirklich und ernsthaft empfehlen möchten wir Ihnen allerdings den Bauhaus-ästhetischen, in ungeheuer elegantem Schwarzweiß gedrehten Film
Das industrielle Gartenhaus, der zwar die abstrakte Disziplin eines Schlemmerschen Ballets besitzt, aber zugleich eben auch eine rote Liebe zu den Bewohnern rings um das ehemalige DDR-Kraftwerk Elbe bei Dessau. Sie essen jetzt europäisches Gemüse.hf/mn

Kellerkino: Russischer Monat, ab 14. 4.

Zusammen mit Agnes Vardas „Le Bonheur“ 19. 4. Babylon-Foyer; 20. 4. Arsenal

fsk: 19.–23. 4.

Zeughauskino: 13., 14. 4.