Vieltönige orientalischeWellen

■ Studio 10: Savina Yannatou sang Musik der Sephardim

Allmählich schwillt der stehende Klang von Kontrabaß, Zither und Laute an. Die heisere Flöte entfaltet eine Wehklage, senkt sich und hält inne. Zum beschleunigten Trommelrhythmus bricht die Musik los. Savina Yannatou hält den Blick noch gesenkt. Sie hat langes braunes Haar und trägt ein knöchellanges graues Baumwollkleid. Als sie ihr Lied beginnt, wie in Trance, drückt ihr Gesicht mitfühlenden Schmerz aus. Ihre Melodie hebt sich in vieltönigen Wellen, nach orientalischer Art von Geige und Laute mitgezeichnet, klar wie Wasser und zart bewegt von Melancholie und den Entbehrungen vieler Generationen.

Die Veranstaltung ist Teil der Tage griechischer Kultur in Hamburg. Savina Yannatou singt sephardische Volkslieder, jahrhundertealte Weisen, die die spanischen Juden nach ihrer Vertreibung aus Iberien in ihrer Diaspora Thessaloniki bis heute bewahren konnten. Erstmals waren diese Lieder nun außerhalb Griechenlands zu hören: in einer ehemaligen Synagoge, dem Studio 10 des NDR.

Sie handeln von fernen Mythen, von Königinnen und Königen, von erwachenden Mädchen und frommen Knaben. Alle sind traurig. Savina Yannatou lächelt nur beim Applaus kurz und scheu. Sie hat eine hübsche Stimme, zweifellos. Doch die wirkt bei aller Melancholie unberührt, ohne die Färbung einer persönlichen Leidenschaft.

Es ist die Stimme einer Jungfrau, von der silberbärtige Männer am Lagerfeuer schwärmten und sich auch alte Blumenkinder entzücken lassen, voller Nostalgie. Der Musik waren viele Einflüsse anzuhören, vor allem arabische in der Melodik, maurische in der Rhythmik. Wiederholt fiel das Ensemble in eine rollende, monotone Bewegung. Die Musiker spielten dann fast ungestüm. Doch zur Ekstase brachten sie es nicht; sie sind ausgebildet und lasen – bis auf den Lautenisten – die Volksmusik von Noten.

In den besonders getragenen Stücken, bei denen sich Yannatou nur von einer Zither begleiten ließ und sehr nahe ans Mikrophon trat, gelang es ihr, die Distanz zu den Wurzeln ihrer Musik zu durchbrechen. Dann sang sie selbst, und für kurze Zeit vergaß man den eitlen Rahmen der folkloristischen Darbietung.Hilmar Schulz