Zerteilung der Stille

■ Steve Reich und sein Orchester gastieren in der Fabrik

Steve Reich kommt mit seinem Ensemble in die Fabrik. Das ist wie ein Besuch aus dem Olymp der Minimal-Musik, in dem John Cage, Philip Glass, La Monte Young, Terry Riley und Steve Reich sitzen und sich überlegen, ob Michael Nyman nun einer von ihnen oder bloß ein Filmmusiker ist.

Gesang, der wie in einer Zeitverschiebung zugleich aus der fernen Zukunft und der frühen Vergangenheit zu kommen scheint, Schwebende Töne und präzise abgezirkelte Rhythmen, die nicht auf Überwältigung setzen, sondern durch feine Differenzen erst Aufmerksamkeit anziehen und schließlich gar in Trance versetzen können: Steve Reichs Musik ist ebenso analytisch wie einprägsam, eine Weltmusik, die allerdings nicht für den Tanzboden gemacht ist. Ihr Autor studierte akademisch und weltweit die Strukturen verschiedenster Musikkulturen.

Gleich ob in „Drumming“ von 1970 eine Phrase fast eine Stunde lang in ebenso minimalen wie hypnotischen Verschiebungen gespielt wird, achtzehn Jahre später bei „Electric Counterpoint“ ein Gitarrist zum zehnfach selbst aufgezeichneten Spiel live ein elftes Mal die Töne variiert oder auf der neuesten CD City Life Marimbas erklingen, das Verbindende ist die Rhythmisierung kleinster Zeiteinheiten, die präzise Zerteilung der Stille.

Die Technizität dieser Musik dürfte in den Zeiten von „Techno“ kein negatives Attribut mehr sein und das Urteil, hier werde ein „Klangteppich“ ausgebreitet, läßt auf inzwischen wohlige Rezeption einst revolutionärer Tontaten schließen. In jugendlicher Unbekümmertheit hat die aktuelle Pop-Musik keine Probleme, den Minimalisten als „Vorläufer“ ihrer Samples zu reklamieren. Dabei bedarf es eben gerade der mühsamen Entwicklung einer Fragestellung an den Grenzen des Hergebrachten, damit anschließend eine Technik wie der Synthesizer den so entdeckten ästhetischen Bedarf befriedigen kann.

Steve Reich, der Sonntag ein „Best Of“-Konzert gibt, zieht bis heute sein 1966 gegründetes Ensemble der Elektronik vor. Doch er ist kein Fanatiker des Analogen. Tonbänder und digitale Aufzeichnung verwendet er ebenso seit langem: als Amerikaner sind ihm die deutschen Unterscheidungen zwischen E- und U-Musik ohnehin ganz schnurz.

Hajo Schiff

So, 29. September, 20 Uhr, Fabrik