Dalli-Dalli für Schnelldenker und Blitzmerker

■ Theatercollage „Macbu“ im Schauspielhaus – und Mady Rihl rechnet's nachher in Schilling um / Buh- und Bravo-Rufe für den Regisseur

Auch Riesen steigen mal zu Tale, begeben sich – sagen wir – zu einer Mauer, öffnen ihren Hosenschlitz und... pissen, was die Blase hergibt. Gruargghh, ist das komisch! Gruargghh, ist das skandalös! Papa, Pipi, Popo: Stefan, Prinz von Pfefferminz, hat das Schauspielhaus heimgesucht und – Ä Tännschn, Ä Tännschn! – einen Doppelburger aus Shakespeares „Macbeth“ und Jarrys „König Ubu“ namens „Macbu“ mitgebracht aus seinem Oberstübchen.

Genau hundert Jahre ist es her, daß der später als Dadavorläufer gefeierte Franzose Alfred Jarry seine Historiengroteske „König Ubu“ herausbrachte. Eigentlich für das Figurentheater konzipiert und dann doch mit Darstellern aus Fleisch und Blut inszeniert, entfachte die Farce im Jahr 1896 einen Theaterskandal, der sich gewaschen hatte. Denn Jarry bediente sich bei Shakespeare und hier ganz deutlich bei „Macbeth“ und entwarf doch dessen Gegenbild: Bei seinen „politischen Morden“ hat Macbeth immerhin Gewissensbisse und sondert in lichten Momenten durchaus Hellsichtiges ab. Ubu dagegen schlachtet völlig losgelöst ab, was ihm in die Quere kommt, ist feige, dumpf und hemmungslos.

Doch auch wenn Jarry bald mit dem Prädikat „Vorschau auf die kommenden Grauen“ ausgezeichnet wurde, steht ein schreckliches Jahrhundert später nicht „Macbeth“, sondern der „Ubu“ unter Theaterartenschutz: Königsdrama schlug Groteske, Seelenqualenporno schlug die Farce, und der Einüber Prinz Stefan alias Stefan Moskov, Theatermann aus Sofia, kann daran auch nichts ändern.

Auf der Bühne glut-, blut-, kommunisten-, mittelalterrot angestrahlte Vielecke; eines davon im Vordergrund läßt sich wie für Filmschnitte hin- und herschieben (Bühne: Marina Hellmann). Zu Fanfaren-, Gipsy- und Moritatenklängen aufmarschiert die Bagage aus Hexen sowie Personal beider Höfe und wird angeführt von einem Moderator (Christoph Tomanek): Mit echt hoher Stirn und dem Parodistengestus des universellen Kritiker-Intellektuellen läßt er seine Brille über den Kopf und zwischen den Händen her- und hinwandern und faselt lustig von „Theater heute, ähem, heute Theater, wir, ähem, spielen Mac-tüt“.

Nach einem prologischen Schlagabtausch, wobei Shakespeares Gestalten mit Schwertern und die von Jarry mit Pappstengeln aufeinander eindreschen, scheidet sich die Bühne in zwei Teile: Rechts ist Stadttheater mit „Macbeth“; links toben Ubu und Gefolge auf einem Berg von Kartons herum und sind dadaistisch in Zeitungskleider gehüllt (Kostüme: Svila Velitchkova). Wer jetzt glaubt, es stünden ihm zweimal drei Stunden Königsdrama bevor, kann aufatmen: Das Ganze hat die Länge eines Fernsehspiels und erinnert ohnehin an die gespielte Szene von Dalli-Dalli – für jeden erkannten Fehler einen Punkt, und Mady Rihl rechnet's nachher in Schilling um.

Der bulgarische Regisseur Stefan Moskov, dem man seine Figurentheaterausbildung und sein Gespür dafür ansieht, mit einfachen Mitteln Raumillusionen zu erfinden, und der wieder einmal durchschimmern läßt, welch' Rieseneinfluß Brecht östlich des eisernen Vorhangs gehabt haben muß, stürzt sich so einfallsreich wie unbeschwert ins Doppeldrama-Getümmel: Da läßt er zur Schlachtung König Wenzeslaus (Kurt Ackermann) ein Pappkameradenkollektiv von Kulturrevolutionären auf der Bühne erscheinen; da treibt er die Unflätigkeit von Mutter und Vatter Ubu (hinreißend: Gabriela Maria Schmeide und Pierre Besson) auf die Spitze, indem er sie fast nur mit vollem Mund sprechen läßt; da zaubert er rechts mit Halleffekten, Miniaturbesetzung und Phantasiesprech der Hexen (mit Dirk Plönissen und Vera Lippisch als Mr. und Mrs. Macbeth) einen ganz ansehnlichen Shakespeare-Versatz auf die Bühne; und da treibt er das Geschehen in der Begegnung der beiden Königspaare auf einen furiosen, zum Brüllen komischen Höhepunkt zu. So weit, so hübsch, so nett.

Ein Projekt aber, ein vom neuen Chefdramaturgen Joachim Lux versprochener „event“ ist aus der Collage nicht geworden (wiewohl das Programmheft „event“-mäßig viel Lesestoff für etwa zwei Stunden bietet). So witzig der Einfall ist, den Bremer Ubu dem Bremer Macbeth mit den Worten „ey Du, das meiste hab' ich nachgemacht“ auf die Schultern klopfen zu lassen, so punktgenau trifft er das Dilemma: Denn trotz aller Gaudi stehen sich die Vorlagen gegenseitig auf den Füßen herum. Die Komik, die sich nach Moskovs „ganz einfachem und unideologischem Credo“ im Tragischen, und das Tragische, das sich in der Komik verbergen soll, wachsen hier ganz unideologisch zu einem zwar amüsanten, aber belanglosen Quiz für Schnelldenker und Blitzmerker zusammen. Bravos für das Ensemble, Buh- und Bravorufe für den Regisseur. Christoph Köster

wieder am 6., 9. und 27.10. jeweils um 20 Uhr im Schauspielhaus