Die Liebe hinter der Liebe

■ Warum leistet der Mensch ewige Treueschwüre? Das KitoKolleg Vegesack sucht Antworten

Wenn die Liebe zuschlägt, dann zu allererst im Kopf. Es schwindet der Geist und es kribbelt es im Bauch. „Ca fourmit“, sagen die FranzösInnen, „das ameist“. Dahinter steckt der Versuch einer Beschreibung für einen tierischen Zustand: Der Mensch ist entrückt, unberechenbar, trudelt an der Grenze zum Wahnsinn, weit entfernt von aller Vernunft. Nur noch das eine im Kopf, repetiert er den Namen des/der Umschwärmten, windet sich aber vorm Aussprechen jenes Satzes, der schließlich doch nach etwa vier Wochen hervorbricht: „Ich liebe dich.“

Ein verkommener, ein Fernsehsatz. Eine Sprechblase aus der Seifenoper, gleichwohl geeignet, das momentane Glücksgefühl in die Ewigkeit entschweben zu lassen. Lug und Betrug? Niemals, jedenfalls nicht die eigenen Beteuerung. Doch entspricht auch das gleichlautende Echo des Partners der Wahrheit? Wie läßt sich ein Betrug entlarven?

„Die Paarungsformel ist so wahr und so gelogen wie das –So wahr mir Gott helfe–des Politiker-Eides.“ Zu dieser wohlfeil formulierten, indes ernüchternden Bilanz fand Manfred Schneider, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität GH Essen. Am Donnerstagabend war er der Einladung von Radio Bremen nach Vegesack gefolgt, um im Rahmen des sechs Veranstaltungen umfassenden Kito-Kollegs zum Thema „Liebe“ zu referieren. „Das Versprechen der ewigen Liebe – Poetik und Paradoxie des Liebeschwurs“, war sein Vortrag überschrieben, der sich zu einem amüsanten Parforce-Ritt durch zweieinhalbtausend Jahre Literatur entfaltete.

Alle höher entwickelten Arten in der Tierwelt kennen Rituale und Spiele der Paarung, begann Schneider zunächst harmlos. Das Spiel der Menschen bestehe vor allem darin, daß das künftige Paar miteinander sprechen muß. Die im Schwur einander versicherte Liebe ist nicht, wie viele meinen, ein Gefühl, sondern ein rituelles Sprechen, dessen Bande für ewig halten sollen. In diesem Ritual wird der Pakt der Liebe zwischen Menschen besiegelt. Dies gilt bis heute, trotz diverser Zeugungstechnologien wie Samen-Transfer oder In-virto-Fertilisation.

Beim Treueschwur geht es um mehr, nämlich um Wahrheit. Seit Platon, referierte Schneider, gilt, „daß die Liebe eine Wahrheit ist und die Wahrheit eine Liebe“. Und so gehe das Verlangen, wenn es nicht trügerisch ist, niemals auf den sexuellen Körper, sondern auf die Wahrheit. Wie aber läßt sich herausfinden, ob jemand das, was er sagt, wirklich empfindet? Möglich, er macht sich oder gar dem Gegenüber etwas vor.

Jean Jaques Rousseau riet allen Damen, allein auf körperliche Zeichen zu achten. Schließlich könne das gesprochene Wort, erst recht der Satz „Ich liebe dich“, von einem Betrüger verwendet werden. Doch wie einen solchen erkennen? Es wäre einfach, ließe sich hineinschauen ins Herz. Ein Gedanke, der sich bereits in der Literatur des zweiten Jahrhunderts findet. Momos, eine Figur des griechischen Schriftstellers Lukian, bemängelt, „daß an der Brust des Menschen keine Fenster angebracht sind, durch welche man in den Sitz seiner Gedanken und Gesinnungen hineinsehen könnte“.

Die Technik lieferte viel, aber kein Teleskop, das mitten ins Herz reicht. Stattdessen entlud sich die Literatur des 18. Jahrhunderts in einem regelrechten Aufrichtigkeitswahn. Die unter anderem von Rousseau propagierte Übereinstimmung von Innerem und Äußerem führte allgemein zu Exzessen der Selbstoffenbarung. Die so kultivierte „ursprüngliche Herzenssprache“ aber ist eine, die geschrieben, nicht jedoch gesprochen wurde. „Die originale Sprache der Liebe schreiben allein die Dichter, und sie spricht niemand außer den Betrügern“, gibt Schneider die weiland verbreitete Meinung wieder. Die Betrüger, das sind die Schauspieler, all jene Menschen, denen die vom Dichter in den Mund gelegten Liebesschwüre nur so von den Lippen tropfen.

Doch nicht anders als heute ernteten just diese Betrüger bei den Damen und Herren höchste Gunst. Andererseits begegnete man jenen, die so wortgewaltig die Liebe besingen, mit heftiger Polemik. So begann die hohe Zeit der Stotterer, derer, die unfähig waren zum Nachsprechen jener Formel. Nur sie, hieß es, handelten ursprünglich und somit glaubhaft. Die Schauspieler hingegen hielt man für wahnsinnig, unfähig zu authentischem Dasein, zur eigenen Biographie. Von Platon über Rousseau bis hin zu Antonin Artaud, dem Theaterrevolutionär des 20. Jahrhunderts, wurde darum gerungen, den Komödianten und den Repetitionen den Garaus zu machen. Jedes Wort, so Artaud, sei tot, sobald es einmal ausgesprochen sei, eine einmal verwendete Form sei zu nichts mehr nütze.

Sollte der Liebesschwur, das Elixier des Lebens, nicht auf der Strecke bleiben, bedurfte es eines Auswegs. Einen solchen bot 1871 Immanuel Kant mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“. Der Betrug, lehrte er, sei notwendig, bis man ihn vergessen habe. Er leiste Gutes, indem er den Menschen „civilisiere“. So werde die Moralität der Liebe auf Dauer von selbst zurückkehren. Mit diesem Schluß lag Kant leider falsch. Der Betrug überlebte ihn wie die Zeit. Tatsächlich ist die einzige Spezies, bei der bis heute kein Seitensprung beobachtet wurde, die kalifornische Wüstenmaus. Dora Hartmann

Am 7.11. um 20 Uhr spricht die Soziologin Margrit Brückner im Kito zum Thema „Verstrickungen im Liebeslabyrinth“