: Schlanke müssen draußen bleiben
■ Dicke sind kränklich und träge? Ein Sport-Angebot rückt einem Vorurteil zu Leibe
„So viel Speck auf den Rippen, und du betreibst Sport?“ – Das Klischee ist klar: Dicke sind kränklich und träge, Schlanke sportlich und fit. Daß das nicht stimmt, zeigen Sportangebote, die speziell auf Menschen mit Körperfülle zugeschnitten sind. Es gibt sie, wenn man sie auch suchen muß.
Der Eimsbütteler Turnverband ist einer der wenigen Vereine in Hamburg, die ein spezielles Angebot „für Mollige“ im Programm haben. „Fit ab 90“ betitelt Trainer Hajo Plume sein „Spiel und Spaß für Mollige“. Ein Kurs, um abzuspecken also? „Nein. Ich lehne es ab, daß die Menschen kommen, um abzunehmen. Dafür können sie woanders eine Diät machen. Hier geht es nur um Freude an der Bewegung.“
Entspannungsübungen, Tanz, Wirbelsäulengymnastik, Hockey: Plume ist um Abwechslung bemüht. Einfach „ein bißchen austoben“ können sollen sich die acht bis zehn Männer und Frauen, die jede Woche zu ihm in die Halle kommen. Wichtig ist dem Sport- und Gymnastiklehrer darüber hinaus der praktische Bezug: „Bei mir lernt man auch, wie man eine Kiste Mineralwasser trägt, ohne sich zu verheben.“ Die Gymnastikübungen sollen die Muskulatur kräftigen, die Gelenke mobilisieren und den ganzen Körper entkrampfen. Dabei ist Plume darauf bedacht, niemanden zu überfordern: „Wir machen keine Powergymnastik, hier gilt: Jeder kann, keiner muß.“
Mehr als reine Gymnastik bietet Gabriele Schütz in ihrem Propper-Power-Klub, der ausschließlich Kurse für „mollige bis sehr mollige Frauen“ anbietet. Bei ihr stehen Schwimmen, Body-Building, Tisch-tennis oder auch Bauchtanz auf dem Programm. Auf die Idee, einen Sportklub speziell für dicke Frauen zu gründen, kam die gelernte Altenpflegerin und Diplombetriebswirtin durch eigene schlechte Erfahrungen: „Leute, die mollig bis reichlich mollig sind, ziehen in dieser Gesellschaft eine Menge blöder Sprüche und unangenehmer Blicke auf sich, wenn sie Sport treiben. Deswegen trauen sich viele nirgendwo mehr hin.“
Diese Probleme gibt es bei Propper Power nicht, denn in den Klubräumen haben weder Schlanke noch Männer Zutritt. Das Konzept ist erfolgreich: Der seit einem guten halben Jahr bestehende Klub hat bereits rund 100 Mitglieder. Ums Abnehmen geht es Propper-Frau Schütz nicht: „Wenn man das als Diät sieht und es dann nicht klappt, hört man oft ganz mit dem Sport auf.“
Zudem warnen inzwischen auch hierzulande die Krankenkassen vor der aus den USA rübergeschwappten „Exercise-Bulimie“. Statt sich zu übergeben, so die DAK Hamburg, verausgabten sich die „Fitneßsüchtigen“ in den Studios, um die Kalorien wieder abzuschwitzen. Die Folgen: Eine Häufung von Trainingsunfällen mit Knochenbrüchen und extreme Mangelerscheinungen. Damit hat Gabriele Schütz nichts am Hut. Die 33jährige will zum Wohlbefinden beitragen, die Bewegung fördern – ohne Kasernenhofton: „Niemand muß Angst haben, überfordert zu werden.“
Monika Herrmann vom Verein „Dicke e. V.“ hat in den Molligen-Sportgruppen eine „große Solidarität unter Dicken“ erfahren: „Man fühlt sich sofort angenommen, obwohl man fremd ist.“ Allerdings will sie „kein Ghetto für Dicke“, sondern Einstiegsmöglichkeiten für Menschen, die Sport treiben wollen, sich aber wegen ihrer Körperfülle alleine nicht trauen würden. Der Tanzkurs, den der Verein anbietet, ist deswegen auch für Schlanke geöffnet. Jörg Walser
Eimsbütteler Turnverband, 4 01 76 90, mo - fr 9 - 22 Uhr.
Propper Power - Sport für Mollige, 3 19 40 40, di, do, fr 10 - 14 Uhr, do 16 - 18 Uhr
Dicke e. V., 2 29 69 83
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen