Frag Rudi, oder lies „kraut und rüben“

■ SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping auf Tingeltour durch Schulklassen

Den Rudi kennen die meisten aus dem Fernsehen. Danny beispielsweise. „Das ist doch der SPD-Vorsitzende.“ Falsch. Seit der Mannheimer Revolution ist das der Oskar Lafontaine. „Das ist doch der, den die SPD nach der Kanzlerwahl im Stich gelassen hat.“ Falsch, Christian. Niemand hat den Rudolf Scharping im Stich gelassen. Er war einfach der falsche Kandidat, weil er so Kohl- gleich war. Jetzt ist er Fraktionsvorsitzender in Bonn und auf Tingeltour durch Schulklassen.

Gut, daß Danny und Christian gestern sowieso nichts zu sagen hatten. Wer Rudi etwas fragen durfte, das waren ausgesuchte Schüler mit Wahlfach Geschichte an der Tempelhofer Gustav-Heinemann-Oberschule. Rudi war gekommen in die heimelige Bibliothek, zwanzig Minuten zu spät, sein Dienstwagen muß so schnell sein wie sein Redefluß.

Was fragt man einen, der so daherkommt wie ein schlechtes Mensa-Essen? Nun ist zwar die Mensa der Gustav-Heinemann-Oberschule geschlossen („Das empfinde ich als eine falsche Entwicklung“), ihn aber, den Rudi, gibt es immer noch. Bartlos und mit „politischer Überzeugung“ und mit der Devise: „Manchmal ist Maulhalten besser.“ Das hat er zu Sonja gesagt, die fragte: „Wie können Sie eigentlich in der SPD weitermachen, wo Sie von ihr so gedemütigt wurden?“ Frag den Rudi. Ehrliches wie Sven. „Finden Sie es gut, daß man mit 16 wählen darf?“ Wie Inga. „Haben sie keine anderen beruflichen Perspektiven als Politiker?“ Wie Sebastian. „Gedenken Sie, einen Rhetorikkurs zu belegen?“ Wie Jens. „Warum sollte ich in die SPD eintreten?“ Wie Jaro. „Sie sind Mitglied einer Arbeiterpartei. Warum waren Sie nie in der Produktion tätig?“ Oder Weltbewegendes wie Sven. „Sollte man nicht für Straftäter ein richterliches Schnellverfahren einführen?“ Er will festgestellt haben, daß in Marienfelde-Süd die Kriminalität ausländischer Jugendlicher rapide zugenommen hat, daß die Polizei die Täter kennt, aber nichts gegen sie unternimmt. „Man muß aufhören, die ausländische Jugendkriminalität zu tabuisieren“, fordert Sven und lädt Scharping zu einer Nachtwanderung durch den Bereich Süd ein. „Nicht ohne ihre Bodyguards, die brauchen wir nämlich.“

Rudis Antworten auf all die Fragen schenken wir uns. In irgendeinem Laberpapier sind sie bestimmt festgehalten.

Nach 90 Minuten „Rudi-Fragen“ bleibt eine offen. Warum haben die Gesamtschüler nicht die in ihrer Bibliothek ausgelegte Fachzeitschrift kraut und rüben gelesen? Auf der Titelseite: Kohl wächst an wilden Sträuchern. Das wäre genauso interessant gewesen. Jens Rübsam