"Kieselstein nicht zum Steinhaufen werden lassen"

■ Interview mit Polizeipräsident Hagen Saberschinsky: Schärfer gegen Kleindelikte vorgehen, um schwere Kriminalität zu verhindern. Erfolge bei der Bekämpfung rechtsextremer Organisationen. F

taz: Hat die Polizei die rechtsextreme Szene in Berlin im Griff?

Hagen Saberschinsky: Die Polizei leistet auf diesem Sektor überproportional gute Arbeit. Seit 1992 hat es auch in Berlin sehr ernst zu nehmende Hochschaukelungsprozesse gegeben zwischen Linken und Rechten. Linke haben auf vermeintlich Rechte Jagd gemacht und umgekehrt. Wir haben hier in sehr kurzer Zeit eine sehr erfolgreiche Organisationseinheit geschaffen, die sich ausschließlich mit der Bekämpfung der politisch motivierten Straßengewalt befaßt. Diese personalstarke Einheit ist sowohl repressiv wie präventiv tätig. Eigens dafür ausgebildete Mitarbeiter kümmern sich um diese Szene. Deshalb haben wir auch einen relativ guten Überblick. Im Bereich Rechtsextremismus gibt es eine Reihe von Ermittlungserfolgen zu verzeichnen: Neun führende Köpfe haben wir in Berlin vor Gericht bringen können, davon haben fünf hohe Freiheitsstrafen erhalten und vier hohe Bewährungsstrafen. Das hat diese Szene stark beeinflußt. Es bedeutet zwar nicht, daß es keine Rechtsextremen mehr in der Stadt gibt, aber die Bedeutung der Organisationsstrukturen konnte deutlich minimiert werden.

Kai Diesner soll in seiner Wohnung ein Munitionslager gehabt haben und Mitglied des „Weißen Arischen Widerstands“ gewesen sein. War das für Sie eine völlig neue Erkenntnis, oder gab es vorher schon Hinweise?

Kai Diesner war uns bekannt und dem Kreis um Priem zugeordnet gewesen. Arnulf Priem – eine der Symbolfiguren des Rechtsextremismus in Berlin – ist aufgrund der polizeilichen Arbeit zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Diesner befand sich im übrigen auch bei den Ermittlungen in dem versuchten Mordfall zum Nachteil des Marzahner Buchhändlers in unserem Aufklärungsspektrum. Da waren wir ganz dicht dran. Er stand auf der Liste der zu überprüfenden Personen sehr weit oben. Daß ein großes Munitionslager in der Wohnung gefunden wurde, entspricht nicht den Tatsachen.

Wie groß ist das Gewaltpotential der Rechtsextremisten?

Das ist sehr schwierig. Das Landesamt für Verfassungsschutz ordnet in seiner neuesten Statistik 2.305 Personen dem Rechtsextremismus in Berlin zu. In diese Zahl eingebunden sind auch die Mitglieder von zugelassenen Parteien wie die „Republikaner“. Rund 800 Personen gehören im rechtsextremistischen Spektrum zum militanten Bereich, also zu denjenigen, von denen wir annehmen, daß sie gewaltbereit sind. Dazu gehören aber auch schon etwa 500 Skins.

In New York wird versucht, die Kriminalität durch Härte und Abschreckung in den Griff zu bekommen. Selbst Kleinstdelikte werden erbarmungslos verfolgt. Eine Philosophie, mit der Sie sympathisieren?

Was die Sicherheitslage anbelangt, sind Berlin und New York nicht annähernd vergleichbar. Ich hoffe, daß wir nie New Yorker Verhältnisse bekommen werden. Die Sicherheitsbehörden in New York sind glücklich darüber, daß sie die Anzahl der Morde auf das Zehnfache der Morde in Berlin senken konnten.

Von der Grundidee kann ich das sehr gut nachvollziehen. Organisierte Kriminalität entsteht nicht von jetzt auf sofort, sondern Organisierte Kriminalität wächst, und der Humus für die Organisierte Kriminalität ist auch in dem Klima einer Stadt zu suchen. Zu diesem Klima tragen verslumte Stadtteile, Schmutz und Dreck, sich selbst überlassene Kinder und Jugendliche sowie Kleinkriminalität bei. Diese Erfahrung hat man offenbar auch in New York gemacht und versucht dort durch die Bekämpfung der Kriminalität auf unterer Ebene auf die schwerwiegendere Kriminalität Einfluß zu nehmen.

Knapp gesagt, wenn man gegen Schwarzfahrer und Graffitisprayer vorgeht, verhindert man schwere Verbrechen?

Das ist zu kurz gefaßt. Ich habe gesagt, Graffitisprayer sind eine sehr ernst zu nehmende Form der Kriminalität, weil nicht nur erhebliche Sachwerte beschädigt werden, sondern im Umfeld eine Fülle von sehr ernst zu nehmenden Straftaten geschieht wie Raubüberfälle und schwere Körperverletzungen bis hin zu Mord.

Gehören auch die ständigen Razzien am Breitscheidplatz zum Konzept, bereits im Vorfeld von Straftaten mit Härte zu reagieren und Ausländer zu vertreiben?

Das ist nicht die Sprachweise und Denkweise der Polizei, für ein solches Vorgehen die Formel „Härte“ zu nutzen. Richtig ist aber, daß wir mit einer stringenten Vorgehensweise einen Beitrag für die Sicherheit in der Stadt leisten wollen. Dort geschehen sehr wohl strafbare Handlungen, wie Drogenhandel, Raubüberfälle, Körperverletzungen und Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit. Dagegen gehen wir nicht nur am Breidscheidplatz mit verhältnismäßigen Mitteln vor, sondern auch an anderen Orten.

Die Verschmutzung, die Aggressivität und Akzeptanz von Gewalt im täglichen Miteinander sowie das damit verbundene Erodieren des Rechtsbewußtseins sind sehr ernst zu nehmende Faktoren für die innere Sicherheit in einer Großstadt. Wir müssen von Beginn an versuchen, der Dinge Herr zu werden, und nicht warten, bis aus dem Kieselstein auf der Straße ein großer Steinhaufen geworden ist, bis aus der Einzelstraftat eine Fülle von Straftaten wird und sich gefährliche Orte entwickeln.

Also null Toleranz – nicht betteln oder trinken, keine Graffiti.

Das möchte ich vermeiden, daß eine solche Gleichsetzung vorgenommen wird.

Das passiert aber doch gerade beim Breitscheidplatz.

Nein. Wir dulden diese Menschen. Wir schauen nur sehr genau hin, ob von bestimmten Leuten strafbare Handlungen ausgehen. Und diese werden dann verfolgt.

Und warum werden dann Obdachlose oder Alkoholiker immer wieder an den Stadtrand gefahren?

Wenn wir das tun, liegen dafür ganz bestimmte rechtliche Voraussetzungen vor. Daß sich diese Menschen darüber beklagen, kann doch nicht der Orientierungsrahmen der Polizei sein. Die Polizei als Garant der Sicherheit hat sich an Gesetz und Recht zu orientieren, nicht an Gefühl und Wellenschlag der einen oder anderen Gruppe. Wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, dann muß die Polizei tätig werden. Die Polizei muß auch relativ früh tätig werden – dazu stehe ich.

Nach den Eierwürfen auf den Papst wurde Innensenator Schönbohm nach Bonn zitiert. Steht der Polizeipräsident jetzt unter Bewährungsdruck?

Den Eindruck habe ich nicht, daß ich unter Bewährungsdruck stehe. Herr Schönbohm ist auch nicht nach Bonn zitiert worden, er ist von sich aus zu Gesprächen dorthin gefahren. Sicher spielte dieses Vorkommnis auch eine Rolle. Den Bonnern ist wohl klar geworden, daß die Verhältnisse hier in Berlin andere sind als in Bonn. Vielleicht unterstellen Sie es mir als Arroganz, aber was die Schutzpolizei hier bei der Bewältigung von Großlagen leistet, da können Sie Vergleichbares auf der ganzen Welt suchen.

Wenn wir schon bei den großartigen Leistungen sind: Daß Autonome einen ganzen Polizeiabschnitt einnehmen, gibt es nur hier.

Der Vorfall wird kräftig überbewertet, nur weil zwei Wachpolizisten nicht in der Lage waren, 48 Eindringlingen Einhalt zu gewähren, die sich für zwei oder drei Festgenommene einsetzen wollten, die zu diesem Zeitpunkt übrigens schon entlassen waren. Daß das eine unangenehme Geschichte für uns ist, ist völlig klar. Wir haben daraus unsere Konsequenzen gezogen. Aber solche Dinge können passieren, weil man die Polizei, so wie andere Unternehmen auch, nicht hermetisch abriegeln kann.

Für das Konzept der Polizeireform haben Sie anfangs viel Lob bekommen. Jetzt formiert sich aber bei einigen Berufsgruppen deutlicher Widerstand. Kriegen Sie die Reform durch?

Aber selbstverständlich kriegen wir die durch. Die leitenden Polizeibeamten sowie die Innenverwaltung und der Innenausschuß und sogar die Oppositionsparteien haben unserem Konzept – wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen – zugestimmt. Wir stecken mitten in der Vorbereitung. Meine Wunschvorstellung ist, im Herbst mit der Erprobung in der Direktion 5 zu beginnen. Ich bin felsenfest überzeugt, daß es von der Zielsetzung her das ist, was wir brauchen. Die Zunahme der Kriminalität, das Anwachsen von Aufgaben im Bereich öffentlicher Sicherheit im Zuge der Hauptstadtwerdung und die geringeren Mittel, die der Polizei künftig zur Verfügung stehen, lassen uns gar keine Wahl.

Werden die Dienstzeiten auf jeden Fall reformiert?

Die Veränderung der Dienstzeiten ist ein wesentlicher Problembereich der Reform, weil daran Bezahlungen hängen. Für einen Beamten des mittleren Dienstes ist es ein wesentlicher Faktor, wenn er monatlich u.U. 250 Mark oder 300 Mark weniger bekommt, weil seine Schichtdienstzulage wegfällt. Dieses Problem müssen wir lösen, um den Personaleinsatz flexibler gestalten zu können.

Im Vergleich zu anderen Ressorts kommt die Polizei bei der Haushaltskürzung sehr gut weg. Laut DIW-Gutachten hat die Berliner Polizei 8.000 Stellen zuviel.

Wir haben bereits in den letzten 3 Jahren 1.300 Stellen gestrichen, es werden über 2.000 bis zum Ende der Legislaturperiode hinzukommen. Die Behauptung des DIW ist in hohem Maße unseriös, weil man nicht die Verhältnisse in Hamburg oder München mit Berlin vergleichen kann. Interview: Plutonia Plarre

und Gerd Nowakowski