Freie „Frauen im Äther“

Jeden Donnerstag abend gehen die Frauen von Radio St. Paula auf Sendung. Diesmal wurden sie beobachtet:  ■ Von Friederike Habermann

Als das Telefon klingelt, stöhnt Frauke auf. „In zehn Minuten beginnt das Info, und ich muß noch einen Kommentar schreiben. Ich ruf gleich zurück.“Aufgelegt und das Studio um Aufschub gebeten. „Können wir den 8.-März-Beitrag vorziehen?“„Kein Problem“, tönt es beruhigend zurück, „dann leg ich zuerst das Band ein.“Es ist Donnerstag, kurz nach 19 Uhr, die Frauen von Radio St. Paula gehen in wenigen Minuten auf Sendung.

Daniela stellt im Studio das Radio ein, Frequenz 89,1. „In Gefrierzoos können tiefgefrorene Eier sowie Samen von durch Aussterben bedrohten Tierarten bewahrt werden“, erklärt gerade ein Sprecher. Katrin und „Studiogästin“Ruth vom Vorbereitungsteam für die 8.-März-Demonstration gruppieren sich schon mal um das Raummikrofon. Jetzt wird die Sendung über „Gefrieren und Bewahren“abmoderiert, ein wenig Musik und dann das typische Ticken für die Ankündigung einer Nachrichtensendung. Doch die entfällt, denn es ist 19.30 Uhr – Daniela zieht den Regler für den Jingle hoch. „Sie verlassen jetzt auf der Frequenz 89,1 das Deutschlandradio Berlin. Sie hören jetzt das Freie Senderkombinat FSK.“Den Regler für den Jingle runter, den für das Studiomikro hoch: „Hier ist das Info von Radio St. Paula.“

Eine Frauenzeitschrift zum Hören ist St. Paula nicht. Die Radio-Macherinnen wollen sich nicht auf vermeintliche Frauenthemen begrenzen lassen, weder auf die aktuelle Frisurenmode noch den Paragraph 218. Egal, ob das Thema Punkmusik, Bücherjournal oder Kurdistan heißt: Gesucht wird der feministische Blick. Doch was heißt das? „Früher definierten wir Feminismus als Parteilichkeit für Frauen, heute sehen wir das differenzierter“, sagt Frauke. Frauen als Täterinnen müßten ebenfalls in den Blick genommen werden.

„Es geht darum, kritisch zu sein und gegen Unterdrückungsmechanismen anzugehen. Aber es gibt unterschiedliche Vorstellungen davon, was Feminismus ist – hier wird keine auf Linie gebracht.“Der Slogan „frei und feministisch“wurde verändert in „Frauen im Äther“: „Wenn du das Programm durchliest und nicht merkst, daß wir feministisch sind, brauchen wir es auch nicht dazu zu schreiben , begründet Frauke.

Entstanden ist das Projekt Radio St. Paula 1991. Mit einer Ausnahme stiegen damals alle aktiven Frauen aus dem gemischten Radio St. Pauli – dessen Frequenzantrag gerade abgelehnt worden war – aus, weil sie nur noch mit Frauen zusammenarbeiten wollten. Als zweites Nachfolgeprojekt gründete sich das gemischte Radio Loretta. Doch in der „AG Radio“, die sich später zum FSK entwickelte, trafen sie sich wieder. „Das läuft ganz gut – trotz gelegentlicher Spannungen“, erzählt Katrin.

Die gelernte Tischlerin ist seit eineinhalb Jahren dabei. Sie wollte etwas über Frauen in Männerberufen veröffentlichen und war so zum Radio gekommen. „Ich hatte immer etwas gesucht, wo ich etwas von mir mit einbringen kann. Das ist das Wunderschöne, daß für alles Platz ist, was du machen möchtest.“Giselle, die demnächst ihre Ausbildung als Schriftsetzerin beginnen wird, kam im vergangenen Herbst dazu. „Der Umgang miteinander hat mich vom Hocker gerissen“, beschreibt sie die Hauptmotivation für ihre – unentgeltliche – Radio-Tätigkeit. In anderen politischen Gruppen sei es oft nicht über eine stressige Arbeitsatmosphäre hinausgekommen.

Das sieht Frauke, die bereits bei der ersten Radio St. Paula-Sendung dabei war, ähnlich. Bei keiner anderen Gruppe sei sie so lange geblieben, erzählt sie. Es sei diese Mischung, öffentlich zu handeln, aber auch konkret zu werden, kreativ sein zu können und politisch aktiv zu sein, die sie reizt – neben der Lust am Radiomachen. „Früher waren die Plenen anstrengender“, erinnert sie sich. „Heute haben wir viel mehr Spaß an uns selber.“Gerade in der Offenheit des Projektes sieht sie eine Chance. „Wir haben gelernt, mit unserer Verschiedenheit umzugehen.“

Doch die ist begrenzt: „Paula ist weiß, zwischen 20 und 30, sie kann Treppen steigen und hat einen deutschen Paß. Das versteht sich nicht von selbst. Wir überlegen, wie wir das ändern können“, heißt es in der Selbstdarstellung Radio St. Paulas im neuesten „Transmitter“, der monatlichen Programmzeitung vom FSK. Seit April 1996 geht jeden Samstag von 18 bis 19.30 Uhr das Mädchenradio auf Sendung. Einzelne oder Gruppen können hier ihre Beiträge selbst gestalten und ihre Interessen, Wünsche und Träume zu Gehör bringen – einschließlich männlicher Sängerstimmen, was zwar gegen Projektprinzipien verstößt, doch von den älteren „Paulas“akzeptiert wird.

Die rote Lampe auf dem Tisch leuchtet, Anna spricht live ins Mikrofon. Frauke, diesmal am Mischpult, spreizt die Finger: noch fünf Minuten Sendezeit. Anna nickt beruhigend, dann fällt ihr ein, daß sie beim Probesprechen über sechs Minuten für diesen Textteil gebraucht hat. Sie redet schneller und gibt Katrin das Zeichen, daß diese wie abgesprochen das Zitat vorlesen soll. Katrin schüttelt nur den Kopf. Keine Zeit! Anna liest weiter, während Frauke unruhig immer wieder mit den Händen ein großes „T“bildet. Endlich blickt Anna auf: geschafft.

Schnell zieht Frauke ihr eigenes Mikrofon hoch, sagt noch – „Und tschüß. Das war's für heute. Aber es geht weiter im Kampf gegen mehr Sendezeit!“– da ist es auch schon 23 Uhr. „Scheiße“, ruft Frauke, denn schlagartig ist ihr klar geworden, was sie da gerade gesagt hat. Doch verbessern kann sie sich nicht mehr: Erst nächsten Donnerstag ist wieder Paula-Zeit.

Sondersendung von Radio St. Paula zum 8. März heute, 19.30 – 23.00 Uhr auf 89,1 MHz.