„Mädchen ziehen sich immer an den Haaren“

■ Ist Schlagen unter Mädchen trendy? Ziehen die Gören jetzt die Jungen ab? Fünf Tenever-Girls luden zum Früchtetee ins Freizi und erzählten alles übers ohnmächtig werden, Tagescremes und Nerven bis zum Abdanken

ie begrüßen sich mit „Hallo, Schatzi!“und Küßchen. Haste mal 'ne Zigarette? Wie geht's der Ratte zu Hause? Früher haben sie auch mal Geister beschworen. Also, das fanden sie schon ziemlich geil. Absolut in sei allerdings zur Zeit: Sich ohnmächtig machen. – Pusten, Luft anhalten, zwei Finger an die Kehle drücken. – „Ich mach' das nicht!“– „Ich hab' nur einmal halb!“– „Ich hab' dann Breakdance gemacht!“– „Wenn man wieder aufwacht, kribbelt das so!“– reden plötzlich alle durcheinander. „Und Ina, die war richtig weg! Das war schon komisch.“

Es ist früher Nachmittag. Jaqueline, Melanie, Jessica und Desiree* sitzen um den Tisch im Mädchenraum im Jugendfreizi in Tenever. Freundinnen kommen und gehen. Es gibt Früchtetee. Von unten – gemischte Zone – dröhnt Soul herauf. Die Mädchen sind so oft und so lange hier, bis die „Sozis“sie rauswerfen. Auf jeden Fall immer dann, wenn sie nicht wissen, was sie machen sollen. Dann gehen sie zur „Lücke“, ein Freizi-Projekt für die Zeit zwischen Schule und Abendbrot, bei Parties auch schon mal nach 19 Uhr. „Lücke“gibt's hier für Mädchen von 10 bis 14.

„Ich bin da, weil man hier Mittagessen kann“, sagt Melanie. Etwas unschlüssig überlegen die Mädchen von der „Lücke“, was sie von sich erzählen sollen. „Wir haben früher sehr viel Mist gebaut“, sagt eine. „Wir haben die Sozis zum Weinen gebracht.“– „Haben Flaschen runtergeworfen.“– „Wenn wir nicht wissen, was wir machen sollen, dann nerven wir die Leute. Wasserbeutel vom Balkon werfen oder so.“

Das hört sich an, als würden die Mädchen vom Topflappenhäkeln sprechen. Da sitzt die strohblonde Jessica aus Polen mit dem dicken Schlüsselanhänger an der Jeans. Melanie hat die langen, dunklen Locken zusammengebunden. Jaqueline trägt mindestens sieben silberne Ringe an den Fingern. Die kleinste und schmächtigste – Desiree – macht den resolutesten Eindruck. Sie kam vor vier Jahren aus Rußland nach Bremen. Plateauschuhe, Trainingsjacken und Kapuzenshirts sind bei den „Lücke“-Mädchen offensichtlich immer noch trendy.

it Cliquenkult habe das aber nichts zu tun. „Sind wir eine Gang?“Ne, das sei immer verschieden, welche gerade dabei ist. „Wir hängen halt zusammen ab“, sagt Jaqueline. „Wir bauen da Scheiße“, erklärt Desiree. Was denn? Klauen etwa? Neee. Prügeln? „Also, für prügeln bin ich nicht so“, meint Jaqueline. „Ich hab vor zwei Monaten zum letzten Mal.“– „Ich vor drei Jahren!“(Jessica). „Ja, aber meine Freundin“, erzählt Jaquelinge, „die sagte da zu so 'nem Mädchen: Gib mir deinen Pulli, gib mir deine goldene Kette.“

Na, ja, stimme schon, das ist ganz klar abziehen, wie's die Jungs auch machen. „Aber wir machen es ja nicht richtig“, sagt Desiree. „Wir wollten einmal Geld abzocken, weil wir wissen wollten, wie's geht. Aber wir konnten es nicht.“

Die meisten Mädchen vom Freizi in Tenever gehen ins Schulzentrum Koblenzer Straße. Desiree hatte da vor kurzem Streit mit einer anderen. „Die hat so Gerüchte erzählt und mich schlecht gemacht. Ich hab sie an den Haaren gezogen.“– Mädchen ziehen sich immer an den Haaren, erklärt Jessica. „Die andere mußte sich hinterher zweimal die Haare abschneiden“, sagt Desiree. Alle lachen. „Die spinnt ja.“

Passiert das auf dem Schulhof oder in Tenever auf dem Marktplatz, stehen die Jungs drum rum und sagen danach: „Gut gekämpft.“– „Jungs“ist das Stichwort für dezente Prahlerei. „Ich hab' früher alle Jungs verprügelt!“– „Früher, als man jünger war, waren die Mädchen sowieso größer als die Jungs.“– „Jungs schlag ich nur, wenn ich weiß, daß der schwächer ist.“– „Also, an den und den würde ich mich nicht rantrauen.“Und wenn einer dann tatsächlich mal Freizi-Hausverbot bekommen soll, wollen die Mädchen ihm meist noch eine Chance geben.

Hülya meint, es sei ganz gut, daß es hier den Mädchenbereich gibt, weil man auch mal die Tür zu machen und seine Ruhe haben kann. „Wir machen ja auch Kosmetik hier!“fällt Jessica ein. „Gurkenmasken. Massage. Wir legen Decken auf den Boden. Renate – eine Sozi – weiß auch, wie das geht. Freitag machen wir Tagescreme. Sonst schmink' ich mich eigentlich nicht. Meine Mutter mag das nicht.“Dann schmink dich halt, wenn sie's nicht sieht, rät eine Freundin.

Eins der Mädchen trägt heute einen sehr hohen Rollkragen. Ist da etwas drunter? Hm, kichern alle: Die war ohnmächtig und hat einen Knutschfleck gekriegt. – „Ich hab das ja auch gemacht“, sagt sie cool. „Das war praktisch. Da war so ein süßer Junge, den hab ich abgeknutscht, als er weggetreten war.“

„Weißt du“, erklärt Melanie, „Wir sind nicht brav, aber auch keine Schlägermädchen.“– „So brav darf man doch gar nicht sein“, sagt Jessica. „Sonst macht das Leben keinen Spaß.“Ein paar hätten auch schon mal bei der Polizei angerufen und gesagt: Ich muß Pippi und kann die Hose nicht aufmachen. „Ich weiß jetzt, was ich gerne mache!“ruft eine dazwischen. „Einkaufen gehen, aber da muß Geld da sein. Ich nerv' meine Mutter, bis sie mir was gibt.“

Mit freundlicher Genehmigung protokolliert von Silvia Plahl

*Die Namen wurden von den Mädchen selbst geändert und ausgesucht.