Der durchschnittliche Raver ist erforscht

■ Studie des Sozialpädagogischen Instituts deckt auf: Es wird auf Techno-Parties mehr gekifft als geschluckt. Der Berliner Therapieladen hat Vorarbeit geleistet

So stellt man sich das vor: Hunderte Berliner Clubs füllen sich an jedem Wochenende – weit nach Mitternacht – mit Tausenden Jugendlichen, die viele kleine bunte Ecstasy-Pillen in der Tasche haben, die sie dann entweder einwerfen oder verkaufen, auf jeden Fall irre viel Spaß haben. Techno dröhnt aus den Boxen, und alle freuen sich auf die Love Parade mit wieder genehmigtem Chill-out im Tiergarten.

Tatsächlich ist die Lage etwas anders: Knapp die Hälfte der regelmäßigen BesucherInnen von Techno-Veranstaltungen nimmt aktuell überhaupt keine Drogen. Und: Es wird mehr gekifft als geschluckt. 69 Prozent haben Erfahrungen mit Cannabis, 49 Prozent mit Ecstasy. Fast jeder dritte konsumiert ausschließlich Cannabis, nur 4 Prozent ausschließlich Ecstasy. Zwei Drittel konsumieren mindestens zwei Substanzen gleichzeitig. Zu diesem Schluß kommt eine Studie des Berliner Sozialpädagogischen Instituts zu illegalen Drogen in der Techno-Party-Szene, die im kommenden Monat von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vorgestellt wird. Cannabis fungiert nach Einschätzung von Experten nicht in erster Linie als Partydroge, sondern als Chill-out-Mittel.

Ermöglicht wurde die Studie, in deren Rahmen unter der Leitung von Peter Tossmann 1.674 Personen befragt wurden, unter anderem durch die Vorarbeit des Berliner Therapieladens, der seine neuen Räume in der Potsdamer Straße eröffnet hat: Er ist bundesweit die einzige Einrichtung, die sich seit Jahren kontinuierlich mit Partydrogen beschäftigt. Mit einer „Ecstasy-Hotline“ wurde 1995 begonnen, den durchschnittlichen Raver zu erforschen. Es folgte die Aktion „Enjoy the rave, but rave safe“, die zur Zeit in Diskotheken wirbt. Der Therapieladen bietet anonyme Beratung, aber auch „ambulante Rehabilitation“.

Und er hat mit einer völlig anderen Klientel zu tun als herkömmliche Einrichtungen, die vor allem Heroinkonsumenten betreuen: nicht mit Aussteigern, wie sie vor allem in den 60er und 70er Jahren noch häufig zu finden waren, sondern mit „verhinderten Einsteigern“, so Wolfgang Heckmann, Suchtforscher und erster Vorsitzender des Therapieladen e.V. „Die Leute konsumieren Ecstasy als funktionales Mittel, um in diese Gesellschaft einzusteigen“, so Heckmann, „sie benutzen die Pillen wie andere ein Schmerzmittel.“ Darauf sei auch zurückzuführen, daß Ecstasy die einzige Droge sei, die in zehn Jahren alle fünf Kontinente erreicht habe – nach dem Motto: „Wir gehören alle zusammen, wir fühlen uns gut“. Gerade dieses Zusammengehörigkeitsgefühl macht die Leute für die Drogenarbeit so schwer erreichbar. Von selbst finden nur die allerwenigsten den Weg in eine Drogenberatungsstelle, den zumindest einige bitter nötig hätten.

Von „ganz massiven psychischen und psychiatrischen Problemen“, weiß Andreas Gantner, Leiter des Therapieladens, zu berichten – wie bei jeglichem Drogenkonsum vor allem unter denen, die ohnehin psychisch labil sind. Immer wieder hätten sie es mit „drogeninduzierten Psychosen“ zu tun – mit dem Zustand, den man landläufig als „auf 'nem Trip stehengeblieben“ bezeichnet. Oder mit behandlungsbedürftigen Depressionen, die mit Hilfe der Ecstasy-Drogen nur vorübergehend weggedrückt werden.

Letztendlich wird der Drogenhilfe in den kommenden Jahren nichts anderes übrigbleiben, als sich verstärkt auch mit diesen Konsumenten auseinanderzusetzen. Daß es bundesweit bis heute genau ein einschlägiges Projekt gibt, kann man getrost als Armutszeugnis bezeichnen. Denn seit die Partydrogen Anfang der 90er Jahre zunächst in Berlin und anderen Großstädten und wenig später auch auf dem Land Einzug hielten, ist eins klar: daß sie keine schnellebige Erscheinung sind, sondern „der Ausdruck einer grundlegenden Wandlung des Drogenkonsumverhaltens einer neuen Jugendgeneration“, wie es im Jahresbericht des Therapieladens geschrieben steht.

Die dortigen Mitarbeiter scheuen auch die Zusammenarbeit mit der akzeptierenden Drogenarbeit nicht – namentlich mit den Mitarbeitern von Eve & Rave, einem aus der Techno-Szene entstandenen Verein, der vor allem Aufklärung über Drogen betreiben will. Nach niederländischem Vorbild ließ Eve & Rave im vergangenen Jahr in einem Institut der Charité „Drug-Checks“ durchführen. Daraufhin wurden ihre Räume durchsucht, ein Unbekannter erstattete Anzeige. Das Verfahren steht noch aus. Jetzt haben die Leute von „Eve & Rave“, die nach wie vor von der Senatsverwaltung für Jugend nicht unterstützt werden, in Zusammenarbeit mit dem Therapieladen ein „safer night info“ in Form eines Mini-Flyers herausgebracht. Das warnt vor „Blindflügen mit Drogen“, wirbt für „gedankliche Klarheit im Alltag“ und dafür, die körpereigenen Signale wahrzunehmen. Und damit: „Rausch sollte immer etwas Besonderes sein.“ Jeannette Goddar