Ungeliebter Posten glücklich vergeben

■ Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Künste hat nach zäher Dauerkrise einen neuen Präsidenten: György Konrád setzte sich im ersten Wahlgang durch

Nur im äußersten Notfall, wenn sich wirklich niemand anderes findet“, wollte sich Walter Jens im Mai 1994, Präsident der Berliner Akademie der Künste seit 1989, zur Wiederwahl stellen. Schließlich jedoch amtierte Jens weitere drei Jahre und wurde erst am Sonnabend auf der Mitgliederversammlung der Akademie entlastet und zum Ehrenpräsidenten ernannt. Als neuer Präsident wurde der ungarische Schriftsteller György Konrád gewählt. Daß sich damals niemand sonst für den Posten fand und auch diesmal wieder reihenweise Kandidaten abgesprungen sind, muß nicht verwundern, liest sich doch die Akademie-Geschichte der Jahre seit 1989 wie die Chronik einer Dauerkrise.

Die Geister schieden sich vor allem am Umgang mit der jüngsten Vergangenheit und am Verhältnis zur Schwestereinrichtung im Osten Berlins. Walter Jens, seit 1986 auch an der Ost-Akademie, nahm seit 1992 strengen Kurs auf eine En-bloc-Übernahme von Mitgliedern der DDR-Akademie der Künste und verprellte damit vor allem die einst aus der DDR ausgereisten Mitglieder. Günter Kunert warnte vor einem „Zusammenfegen und Hineinschaufeln“ von Mitgliedern in die West-Akademie, Sarah Kirsch sprach von der „Stasi-Schlupfbude“.

Noch bevor der Staatsvertrag über die Gründung der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Künste im Oktober 1993 in Kraft trat, hatten 27 Mitglieder ihren Austritt aus der West-Akademie erklärt, darunter der Musiker György Ligeti, die Künstler Georg Baselitz, Bernhard Heiliger, Heinz Mack, Gerhard Richter und Horst Antes sowie die Schriftsteller Reiner Kunze und Günter Kunert. Christa Wolf trat aus beiden Akademien aus, nachdem ihre frühen Kontakte zum MfS ruchbar geworden waren, während Heiner Müller als Präsident der Ost-Akademie trotz der Stasi-Anwürfe im Amt ausharrte. Eine Überprüfung der Mitglieder durch die Gauck- Behörde lehnte Jens ab, die Akademie wolle sich „Tribunalen, Schauprozessen, bei denen Mitglieder beleidigt und verhöhnt werden, nicht mehr stellen“. Mit Kritikern seines Kurses ging der Propagandist humanistischer Bildungswerte mitunter nicht zimperlich um: Gegen den ehemaligen Sekretär der Abteilung Literatur, Hans Dieter Zimmermann, der die familiäre Praxis kritisierte, daß Walter und Inge Jens die Geschichtsschreibung der Akademie unter sich aufteilen, ließ er eine Unterlassungsklage anstrengen; als Zimmermann dann in den PEN-West aufgenommen werden sollte, scheiterte dies an Jens' Veto.

Der scheidende Akademie-Präsident zog am Freitag bei der Vorstellung der zweibändigen Geschichte der Akademie eine positive Bilanz seiner Amtszeit. Die Vereinigung beider Einrichtungen bezeichnete er als „gelungen“.

Das mögen die Autoren, die aus dem PEN oder der Akademie gedrängt wurden, etwas anders sehen. Sie organisieren sich inzwischen neu, etwa im Berliner „Autorenkreis“ und demnächst auch in einer „Berliner Secession“. Die Wahl des Jens-Nachfolgers am Sonnabend wurde indes noch einmal spannend. Nachdem im Vorfeld die Namen von vier Kandidaten durchgesickert waren (Christa Wolf, Ivan Nagel und Peter Härtling, die aus unterschiedlichen Gründen ablehnten, sowie Walther-Hardt Hämer), meldete letzten Donnerstag überraschend auch der ungarische Romancier und Soziologe György Konrád seine Bereitschaft zur Kandidatur an. Am Sonnabend kam dann noch der Berliner Filmregisseur Michael Verhoeven ins Spiel.

Schließlich setzte sich Konrád schon im ersten Wahlgang durch, zum Vizepräsidenten wurde der ostdeutsche Kunsthistoriker Mathias Flügge gewählt. Konrád hat bereits angekündigt, daß er die Geschicke der Akademie nicht von Budapest aus fernlenken will, sondern vor Ort arbeiten wird. Peter Walther

Porträt Seite 11