Elf Minuten, fünf Welten

■ Zum Auftakt des 21. Internationalen Animationsfilmfestivals von Annecy zeigt arte in seiner Reihe "Kurz-Schluß" eine Auswahl schöner Trickfilme (arte, 0.20 Uhr)

Etwa 6.000 Trickfilmfanatiker aus aller Welt überfallen alle zwei Jahre das beschauliche kleine Annecy in Frankreich, um das Internationale Animationsfilmfestival zu erleben. Sechs Tage und Nächte gehen sie dabei an die Grenzen der Belastbarkeit: Neben dem Wettbewerbsprogramm, das abendlich etwa dreizehn Kurzfilme zeigt, läuft eine kaum noch überschaubare Anzahl von Retrospektiven, Panorama- und Sondervorstellungen in den Kinos der Stadt. So gesehen ist die traditionelle arte-Sondersendung zum Auftakt des Festivals unangemessen kurz – nur fünf Filme gönnt arte heute abend denen, die daheim bleiben mußten.

Den Anfang macht der diesjährige Oscar-Preisträger „Quest“, ein Puppentrickfilm des Kasseler Animationsfilmstudenten Thomas Stellmach. In nur elf Minuten erzählt er eine Lebensgeschichte: Thomas Stellmachs Hauptdarsteller ist eine einsame Figur aus Sand, die auf der Suche nach Wasser seltsame und immer gefährlichere Welten durchqueren muß. Über Stein, Papier und Metall treibt der Regisseur diesen etwas löchrigen und leicht deformierten Kerl, und wenn er zum Schluß des Films an seinem Ziel angelangt ist, möchte man am liebsten hinzukommen und ihm beistehen, ob er nun eine Puppe ist oder nicht.

Animationsfilmer können auf ein breites Spektrum von Techniken zurückgreifen, um ihre Geschichten in Szene zu setzen. Manche schneiden Papier zurecht und schieben es vor die Kamera, andere bringen Ölgemälde in Bewegung. „Kurz-Schluß“ präsentiert mit seiner Auswahl an Animationsfilmen ein paar Spielarten des Genres. So ist außer dem Puppentrick auch eine Aquarellanimation vertreten. Aber auch der klassische Zeichentrick, allerdings in unkonventioneller Form, kommt im „Annecy Special“ zum Zug. Der jüngste Film des Holländers Paul Driessen – übrigens Thomas Stellmachs Professor in Kassel – bietet Animation für Fortgeschrittene. Paul Driessen liebt das sogenannte „Split-Screen“-Verfahren, bei dem die Leinwand in mehrere Bilder aufgeteilt ist. Vor einigen Jahren begnügte sich Paul Driessen noch mit drei gleichzeitig erzählten und miteinander verbundenen Geschichten. Inzwischen sind es neun Kästchen, in denen sich Eisbären, Strandurlauber und sehr raumgreifende Wale zur „Vier Jahreszeiten“-Musik von Vivaldi tummeln. Das Festival von Annecy zeigte den Zeichentrickfilm „The End of the World in four Seasons“ vor zwei Jahren auf einer Großleinwand im Freien – um möglichst viele Details aufzuschnappen, sollte man daher seinen Sessel heute möglichst nahe an den Fernseher rücken. Carola Rönneburg

„Quest“. Buch und Regie: Thomas Stellmach. Deutschland 1996

„Ein schöner Tag“. Buch und Regie: Matthias Bruhn. Frankreich 1994

„The end of the world in four

seasons“. Buch und Regie: Paul Driessen. Kanada 1995

„Der Roman meiner Seele“. Buch und Regie: Solveig von Kleist. Frankreich 1997

„Casting“. Buch und Regie: Guido Manuli. Italien/Frankreich 1997